Harald Lesch und die Frage nach Gott

Kürzlich strahlte das ZDF eine Terra X-Sendung mit Harald Lesch zur Frage „Gibt es Gott?“ aus. Harald Lesch ist bekannt dafür, dass er an Gott glaubt. Er hat sich zum Beispiel in einem Interview im Jahr 2010 als „Protestant vom Scheitel bis zur Sohle“ bezeichnet. Daher war ich sehr gespannt zu erfahren, was er in der Sendung sagt. Mein Eindruck ist gemischt: Die Sendung ist, wie man es bei Terra X gewohnt ist, gut gemacht, und es werden viele Aspekte der Frage nach Gott angeprochen: Die Feinabstimmung im Universum, die Komplexität biologischer Systeme, Krankenheilungen in Lourdes, das „religiöse Zentrum“ in unserem Gehirn, die Religiosität der Steinzeitmenschen, die Frage nach dem Leid und Gottesbeweise. Lesch stellt bei allen Themen beide Seiten dar: Argumente, die für Gott vorgebracht wurden und Gegenargumente. Einige seiner Aussagen sind dabei richtig gut: Die Beobachtung, dass die Stimulierung gewisser Hirnregionen mit religiösen Erfahrungen einhergeht, kommentiert er so (25:50): „Hat sich unser religiöses Zentrum entwickelt, damit wir Gott wahrnehmen können, so wie sich unsere Augen entwickelt haben, damit wir Licht wahrnehmen können?“ Zur Frage, warum Gott Erdbeben, Fluten und weiteres Leid zulässt, das durch die naturgesetzliche Abläufe verursacht wird, meint er (33:20): „Wenn nämlich Gott den Menschen als ein Wesen mit einem freien Willen geschaffen hat, dann muss die Natur nach Gesetzen funktionieren, denn nur dann kann der Mensch die Folgen seiner Handlungen absehen. Also: Gott hat das Leid zugelassen, damit der Mensch sich in Freiheit für das Gute und gegen das Böse entscheiden kann. In diesem Sinne ist das Leid der Preis den wir bezahlen müssen, um uns in der Welt der Naturgesetze wohl aufgehoben zu fühlen.“ Er erklärt auch, warum Glaube und Wissenschaft kein Widerspruch sind (42:05): „Die Naturwissenschaft kann Gott nicht beweisen. Denn sie betrachtet die Welt der Naturgesetze. Aber für Gott gelten diese Gesetze nicht. Gott ist per Definition nicht von dieser Welt. Glaube und Wissenschaft sind genau deshalb kein Widerspruch, sie können nebeneinander existieren. Die größten Naturwissenschaftler, von Isaac Newton bis zu Albert Einstein, bekannten sich zu ihrem Glauben, obwohl die Existenz Gottes nicht erwiesen ist.“ Am Ende der Sendung sagt er, dass es im praktischen Leben einen großen Unterschied machen kann, ob man an Gott glaubt oder alles für Zufall hält (43:00): „Wir können uns entscheiden, so zu leben, als ob es Gott gäbe, oder eben nicht. Aber die Wirkung könnte gewaltig sein, wenn ich daran denke, die Schöpfung zu bewahren, eine große Herausforderung, da ist doch der religiöse Ansatz viel wirkungsvoller als zu sagen: Das Ganze ist nur eine zufällige Fluktuation des Quantenvakuums. Und zwar ohne zu entscheiden, ob es Gott gäbe oder nicht. Also für mich ist es ohnehin klar.“ Mit dem letzten Satz sagte er endlich, was die Zuhörer die ganze Zeit wissen wollen: Für ihn ist klar, dass es Gott gibt.

Freilich erlaubt eine 44-Minuten-Sendung nicht, alle angesprochenen Themen in Tiefe zu diskutieren. Doch an einigen Stellen hätte ich mir bessere Argumente gewünscht.

Zu Beginn der Sendung greift Herr Lesch sein eigenes Forschungsgebiet, die Astrophysik auf, und erklärt sehr schön die erstaunliche Feinabstimmung der Naturkonstanten, die oft als Argument für einen Schöpfer herangezogen wird: Wenn die Naturkonstanten nur ein wenig anders wären, könnte es kein Leben im Universum geben. Er schließt diesen Teil mit den Worten (6:40): „Es gibt noch andere Erklärungen: Was, wenn unser Universum nicht das einzige wäre? Wenn es unendlich viele Paralleluniversen gäbe? Dann müsste es auch zwangsläufig eines darunter geben, in dem genau die Naturkonstanten wirken, die wir kennen: Und genau in diesem Universum leben wir. Hier kommen wir an unsere Grenzen. Man könnte die Feinabstimmung des Universums als ein Indiz für die Existenz Gottes nehmen. Er hat das Universum so geschaffen, dass wir darin existieren können. Man kann aber anders argumentieren: Wir sollten uns nicht wundern, dass das Universum so ist, wie es ist, denn sonst könnten wir gar nicht darin existieren.“ Doch der Verweis auf ein Multiversum ist keine wirkliche Erklärung, denn dadurch wird die Warum-Frage nur einen Schritt nach hinten geschoben: Warum gibt es überhaupt ein Multiversum, und warum hat es genau die Eigenschaften, die nötig sind, damit es darin ein Universum wie unseres geben kann?

Von der Feinabstimmung des Universums wechselt Lesch dann zur Komplexität des Lebens. Das hochorganisierte Verhalten von Ameisenkolonien ist ein Wunder der Natur, das die Frage nach Gott aufwirft (9:24): „Manche glauben, hier müsse der Schöpfer höchstselbst die Instruktionen geben. Denn woher sonst sollten die Ameisen wissen, was jede einzelne zu tun hat? Doch auch hier gibt es eine Erklärung, die keinen Gott als Hilfe benötigt: Schwarmintelligenz.“ Dies gilt auch für Fisch- und Vogelschwärme (10:25): „Das Geheimnis solcher Formationen ist nicht etwa Gottes Werk, sondern schlicht Kommunikation.“ Ich muss gestehen, dass ich mich über diesen Teil der Sendung geärgert habe. Denn hier wird der Eindruck erweckt, dass Gott und die Naturgesetze miteinander konkurrierende Erklärungen sind. Als philosophisch versiertem Wissenschaftler hätte Herrn Lesch dieses platte Verwechseln von Erklärungsebenen nicht passieren dürfen. Stattdessen hätte man den Zuschauern das Staunen darüber vermitteln können, mit welch großartigen Möglichkeiten und Fähigkeiten Gott die Natur ausgestattet hat, die wir zudem noch nach und nach entschlüsseln dürfen!

Die „vermeintlichen“ Wunder der Natur nimmt Lesch als Anlass zu fragen, ob es echte Wunder gibt, und die Zuschauer werden nach Lourdes geführt und bekommen einen Einblick in das Leben eines Mannes, dessen seit einem Autounfall kranker und schmerzender Fuß in der Grotte von Lourdes gesund wurde. Ärzte bestätigen, dass das plötzliche und bis heute (12 Jahre später) anhaltende Verschwinden der Schmerzen nach 24 Jahren Krankheit medizinisch unerklärlich ist. Doch diese erstaunliche Erfahrung wird dann durch den folgenden Kommentar madig gemacht (19:16): „Die Statistik zeigt hier Verblüffendes: Übertragen auf die Gesamtzahl der Lourdes-Pilger ist die Zahl der dort verbürgten Heilungen unter dem Durchschnitt der Spontanheilungen im Rest der Welt. Der Astrophysiker Carl Sagan hat mal bissig bemerkt, die Aussicht auf Spontanheilung sei größer, wenn man Lourdes fernbleibe.“ Dieser platte Kommentar ließe sich auf vielerlei Art kontern: Wurde für die fern von Lourdes spontan geheilten Menschen nicht auch gebetet? Und kommen nicht nur solche Menschen nach Lourdes, die schon jahrelang leiden und bisher eben keine Heilung erlebt haben? Und wenn eine Heilung genau am Tag des Aufenthaltes in Lourdes passiert, kann man das statistisch nicht vergleichen mit anderen Spontanheilungen, die während vieler Monate oder Jahre zu einem beliebigen Zeitpunkt passieren! Und vor allem: Ist nur eine medizinisch nicht erklärte Heilung Gott zu verdanken? Kann Gott nicht auch Ärzte, Medizin und die Vorgänge in unserem Körper und unserer Seele zu unserer Heilung benutzen?

Es gibt noch eine weitere Stelle in der Sendung, an der ich mir eine bessere Kommentierung gewünscht hätte: Dort, wo die „Wette“ von Blaise Pascal erwähnt wird (Minute 36). Der christliche Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) verglich einmal die Entscheidung, an Gott zu glauben mit einer Wette: Wenn es keinen Gott gibt und mit dem Tod alles aus ist, verliert man gegenüber einem Atheisten nichts, wenn man trotzdem geglaubt hat. Wenn aber Gott existiert und man nicht an ihn geglaubt hat, muss man dafür ewig in der Hölle leiden. Also sei es auf jeden Fall besser zu glauben, egal ob das Christentum stimmt oder nicht. Der (atheistische!) Physiker Steven Weinberg kommentierte dies so: „Pascal stellt fälschlicherweise nur zwei Möglichkeiten vor, obwohl es noch mehr gibt. Gott könnte z.B. jemand sein, der nicht möchte, dass die Menschen nur aus Furcht vor Strafe an ihn glauben, und Menschen, die dies tun, in die Hölle schickt. Dagegen gewährt er solchen Leuten die ewige Seligkeit, die ehrlich nach der Wahrheit suchen, auch wenn das Ergebnis ihrer Suche ist, dass sie nicht an ihn glauben.“

Leider behandelt die Sendung nicht das für mich wichtigste Argument für den Glauben: Die Glaubwürdigkeit der Evangelien und insbesondere der Auferstehung Jesu von den Toten. Doch dies wäre wohl Stoff für eine eigene Sendung…


Anmerkungen: Die erwähnte Sendung ist noch bis März 2028 auf den Webseiten des ZDF verfügbar. Meine früheren Blogeinträge gehen auf die Mehrzahl der in der Sendung angesprochenen Themen ein: Die kosmische Feinabstimmung, Design in der Biologie, das Leid in der Natur, unsere religiöse Veranlagung und die Religiosität der frühen Menschen. Relevant ist auch der Blogbeitrag zur Frage, wie Gott und die Naturgesetze zusammenspielen. Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie alt wurden Noah, Jakob und Mose?

Eine Art Dreikampf

Am dritten Tage auferstanden von den Toten

Long Covid