Eine Art Dreikampf
Als gläubige Physikprofessorin bin ich in verschiedenen Welten unterwegs, die im Allgemeinen recht wenig übereinander wissen: Durch meinem Beruf bin ich in der Welt der Naturwissenschaften zuhause: Ich forsche zusammen mit meinen Doktorandinnen und Doktoranden und einigen Studierenden an spannenden Fragen an der Grenze zwischen Physik und Biologie, aber auch zur Quantenphysik. Außerdem erfahre ich durch verschiedene Tätigkeiten, die auch zu meinem Beruf gehören, was sich sonst so in der Physik und Biologie tut: das geschieht durch Konferenzen, Kolloquiumsvorträge, Fachzeitschriften, Doktorprüfungen und Begutachtungen. Meine Vorlesungen und Seminare helfen mir ebenfalls, einen breiten Überblick über die Physik zu behalten: Im Gegensatz zu vielen anderen Fächern gibt es in der Physik die Tradition, dass die Professoren den gesamten Kanon an Vorlesungen ihres Fachs halten. So habe ich in den vergangenen Jahren mehr als 10 verschiedene Vorlesungen ausgearbeitet und fast ebenso viele verschiedene Seminare.
Dieser Beruf ist für mich der Traumberuf, da er genau zu meiner Persönlichkeit, meinen Interessen und meiner Begabung passt. Schon immer dachte ich gerne nach und wollte den Dingen auf den Grund gehen. Am glücklichsten bin ich tatsächlich dann, wenn ich einen ganzen Vormittag oder Nachmittag lang Ruhe habe und mich auf eine einzige wissenschaftliche Frage konzentrieren kann. Häufig packt mich ein Physikproblem so sehr, dass ich auch nachts im Bett darüber nachdenke. Aber wenn es nötig ist, kann ich auch in kurzer Zeit einen großen Berg an Unterlagen (für eine Sitzung, Begutachtung, einen Artikel oder einen Forschungsantrag) sichten und das Wesentliche herausholen. Während ich mich in meiner Jugend immer anders fühlte als die anderen Menschen und mir daher fehl am Platz vorkam, bin ich nun unter meinesgleichen gelandet.
Die andere Welt, in der ich zuhause bin, ist die des christlichen Glaubens. Er hat von klein auf mein Leben geprägt. Mit 16 Jahren traf ich eine ganz bewusste Entscheidung, diesen Glauben persönlich anzunehmen. Der Anlass dazu war die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Naturwissenschaft, so faszinierend sie ist, kann diese Frage nicht beantworten, denn sie kann nur die Natur beschreiben. Sie kann nichts über Zweck und Ziel sagen und nichts dazu, ob es noch etwas jenseits der Natur gibt. Die Antworten, die der christliche Glaube hierauf gibt, finde ich stimmig. Ich praktiziere den Glauben, indem ich morgens gemeinsam mit meinem Mann in der Bibel lese und bete, sonntags Gottesdienste besuche und im Alltag mit Gott im Gespräch bleibe und mich an christlichen Werten orientiere.
Mein Drang zu lernen und nachzudenken macht auch vor Glaubensthemen nicht halt. Es ist mir sehr wichtig, Gründe für den Glauben nennen zu können (dazu mehr in späteren Blogeinträgen). Da die Bibel die Textgrundlage des christlichen Glaubens ist, interessiert mich auch vieles, das mit der Bibel und ihrer Auslegung zusammenhängt: der hebräische und griechische Urtext, die theologische Diskussion über die Entstehung und Interpretation der biblischen Bücher, Hintergrundwissen über die damalige Zeit, die frühchristlichen Schriften aus den ersten Jahrhunderten, Lebensbilder von Christen vergangener Zeiten, …
Seit ca. 25 Jahren befasse ich mich auch recht intensiv mit dem Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft. Der Auslöser war mein Forschungsaufenthalt in den USA in den ersten Jahren nach meiner Promotion. Dort begegnete mir in verschiedenen Kirchen der Junge-Erde-Kreationismus, der den Schöpfungsbericht der Bibel ziemlich wörtlich versteht und die wissenschaftlichen Belege für das Alter sowie die Geschichte des Universums und der Erde abstreitet. In einer Kirche, die mein Mann und ich auf einer Tour durch die Nationalparks der USA besuchten, war man richtig missionarisch in Bezug auf dieses Thema und gab uns einen Packen Vortragskassetten mit, auf denen der Pastor ausführlich die ersten beiden Kapitel der Bibel besprach. Da wir auf der Fahrt Zeit hatten, hörten wir sie uns unterwegs an. Leider war sehr vieles, was er zur Naturwissenschaft sagte, falsch. Mein Mann drängte mich, diesem Pastor eine Email zu schreiben und ihm zu erklären, wo er falsche Behauptungen macht. Auf diese Email bekam ich nie eine Antwort….
Als Kontrastprogramm hierzu begegnete mir durch meinen Chef ein entschiedener Atheismus, der sich auf die Wissenschaft und die Vernunft berief. Mein Chef war aus dem Iran, und er wusste über das Christentum fast gar nichts – außer dass man angeblich seinen Verstand abschalten und blind glauben muss, was einem erzählt wird, insbesondere dass die Welt ca. 10000 Jahre jung sei. Auf den Islam war er auch nicht besser zu sprechen… In einer heftigen Diskussion, die wir eines Tages hatten, versuchte ich klarzustellen, dass das Zentrum des christlichen Glaubens die Frage sei, wer Jesus war, und dass die Frage nach dem Alter der Erde sekundär sei. Der Junge-Erde-Kreationismus sei außerdem eine Minderheitenmeinung. Immerhin hat ihn diese Begegnung zum Nachdenken gebracht, denn er merkte, dass seine Argumente nicht den eigentlichen Kern des Glaubens trafen. Aber auch ich wurde durch diese Begegnung zum Nachdenken gebracht und fing insbesondere an, mich intensiver mit dem Thema „Evolution” zu befassen. (Auch dazu wird es in künftigen Blogeinträgen mehr geben.)
Mit diesen beiden Begegnungen sind die Konflikte angesprochen, in denen ich als gläubige Wissenschaftlerin immer wieder stehe. Doch bevor ich auf den im Titel erwähnten „Dreikampf” eingehe, möchte ich betonen, dass ich in dem Grenzgebiet zwischen Glaube und Wissenschaft sehr viel Positives erlebe: Ich kenne viele Naturwissenschaftler, die an Gott glauben oder gar den traditionellen, konservativen christlichen Glauben vertreten ähnlich wie ich. Auch kenne ich viele Christen, die sehr interessiert und offen für die Naturwissenschaft sind und sich freuen, wenn ich in Vorträgen erkläre, wie gut sich beides ergänzt. Oft erlebe ich, dass Leute erleichtert sind, wenn sie erfahren, dass sie nicht die Augen vor den etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen müssen, wenn sie weiterhin glauben wollen. Durch meine Verbindung zu nationalen und internationalen Netzwerken zu Glaube und Naturwissenschaft habe ich Zugang zu sehr vielen guten Ressourcen und kenne christliche Professoren zu all den naturwissenschaftlichen Gebieten, die für das Thema Glaube und Naturwissenschaft relevant sind: Geologie, Kosmologie, Paläontologie, Biologie, Physik, …
Doch neben all diesen positiven Erfahrungen gibt es auch die erwähnten Auseinandersetzungen. Auch bei uns in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten der Kreationismus ausgebreitet, besonders in den Freikirchen. Es gibt verschiedene Varianten: Manche nehmen die 6 Schöpfungstage wortwörtlich und müssen dann folgern, dass die Erde ca. 10000 Jahre jung ist. Oft verbindet sich damit auch die Auffassung, dass die Sintflut alle geologischen Schichten und Fossilien geschaffen hat. Andere nehmen die Schöpfungstage nicht wörtlich, aber verstehen die Geschichte vom Sündenfall so, dass es in der Natur keinen Tod gab, bevor der Mensch sündigte. Evolution, und insbesondere die Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren, lehnen sie alle ab. Es sind eine Reihe von Büchern in christlichen Kreisen im Umlauf, in denen behauptet wird, die wissenschaftlichen Ergebnisse über das Alter des Universums oder der Erde und ihrer geologischen Schichten seien unzuverlässig und die Folge atheistischer Herangehensweisen. Man könne auch eine alternative Interpretation der Daten vertreten. Mich als Wissenschaftlerin macht dies traurig, da es den christlichen Glauben bei naturwissenschaftlich gebildeten Menschen in Verruf bringt (wie bei meinem Chef in den USA). In einigen meiner späteren Blogeinträge möchte ich das genauer erklären.
Umgekehrt gibt es in den Naturwissenschaften einen Hang zum Naturalismus und Reduktionismus. Besonders in populärwissenschaftlichen Büchern wird immer wieder behauptet, die Naturwissenschaft hätte den Glauben als Weg zur Erkenntnis abgelöst und hätte uns gelehrt, dass es jenseits der Natur nichts gibt. Die grundlegenden Gesetze der Physik würden alles festlegen, was in der Welt passiert. Für Gott oder den freien Willen oder das Leben nach dem Tod sei kein Platz mehr. Auch diese Auffassung ist falsch, da aus der Naturwissenschaft unerlaubte Grenzüberschreitungen in das Gebiet der Philosophie und Theologie gemacht werden. Auch hierzu äußere ich mich inzwischen immer wieder, wo sich die Gelegenheit ergibt. Ich habe sogar in meine Lehrveranstaltungen zur Physik ein wenig Philosophie eingebaut, um die Studierenden davor zu bewahren, aus den physikalischen Theorien naive Schlussfolgerungen über die Beschaffenheit der Welt zu ziehen.
Neben diesen beiden Konfliktzonen an der Grenze zwischen Glauben und Naturwissenschaft gibt es für mich noch eine dritte: Die betrifft die akademische theologische Welt: Hier begegnet mir oft ein zu großer Respekt vor den Aussagen von Naturwissenschaftlern, so dass man es gar nicht mehr für möglich hält, dass Gott Gebete erhören kann oder dass Jesus die in den Evangelien berichteten Wunder getan hat oder gar aus dem Grab auferstanden ist. Hier möchte ich gerne klarmachen, dass die Physik nicht als Begründung herangezogen werden kann, wenn man diese Dinge nicht für möglich hält. Auch hierzu soll in späteren Blogeinträgen manches besprochen werden.
Gerne möchte ich mit diesem Blog zum Thema „Glaube und Naturwissenschaft” Wissen vermitteln, zum Nachdenken anregen und Missverständnisse ausräumen. Freuen Sie sich auf eine bunte Mischung interessanter Texte in den kommenden Wochen!
Nachtrag: Inzwischen sind viele Blogbeiträge Online, z.B. zum Alter der Erde, zur Feinabstimmung der Naturkonstanten, zur Verwandtschaft von Menschen und Schimpansen, zur Frage ob der Tod durch den Sündenfall kam. Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.
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Anhang: Vier Wochen im Jahr 2018:
Vor gut zwei Jahren wurde mir bei einer Diskussion mit eine paar Leuten aus meiner Gemeinde zu Fragen der Naturwissenschaft deutlich, dass die meisten Mitglieder meiner Gemeinde die Welt, in der ich tagtäglich lebe, nicht kennen, und dass das wohl ein Grund dafür ist, dass viele sich falsche Vorstellungen über die Welt der Naturwissenschaften machen. Damals schrieb ich ein paar Erfahrungen und Begegnungen der vorangegangenen vier Wochen aus meinem Berufsleben auf mit dem Wunsch, Laien einen Einblick in meine Welt zu geben. Doch dazu kam es nie…. Jetzt ergreife ich die Gelegenheit, den damals aufgeschriebenen Text mitzuteilen:
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Mit einem berühmten Kosmologie-Professor, der gerade in Darmstadt zu Besuch ist, sitze ich beim Abendessen. Wir unterhalten uns darüber, was die neueren Messdaten der Weltraumteleskope über die frühe Geschichte des Universums verraten. Ich frage ihn, was er von den verschiedenen Ideen zur Erklärung der dunklen Materie und der dunklen Energie hält. Wir diskutieren über das Wesen der Zeit und über den Zusammenhang zwischen schwarzen Löchern und Quantenphysik. Wir sind uns einig, dass diejenigen, die an ein Multiversum glauben, keine wissenschaftlichen Belege dafür haben, sondern von ihrer materialistischen Weltanschauung geprägt sind. Er erzählt mir von Stephen Hawking, mit dem er vor vielen Jahren zusammen ein Buch geschrieben hat.
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Ein Doktorand am Institut für Kernphysik fragt mich, ob ich bei seiner Doktorprüfung als Prüferin dabei sein kann. Er hat in seiner Doktorarbeit Computersimulationen zur Erzeugung von chemischen Elementen in Supernova-Explosionen gemacht. Ich sage zu und freue mich darauf, in der Prüfung mehr über den neuesten Forschungsstand zur Elemententstehung zu lernen. Immerhin sind die meisten Elemente, aus denen unsere Erde besteht, bei Kernfusionsprozessen in Sternen oder in Sternexplosionen entstanden...
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In einer Gutachtersitzung sitze ich neben einem der Abteilungsleiter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Wir machen am Rande der Sitzung Pläne für eine Konferenz in Alaska. Wir beschließen, dass es um die Frage gehen soll, wie sich das Klima und Ökosysteme gegenseitig beeinflussen und ob man große Klimaumbrüche im Voraus erkennen kann. Ich erinnere mich daran, dass es den Potsdamer Forschern gelungen ist, mit Klimamodellen die Zyklen von Eis- und Warmzeiten vergangener Jahrmillionen besser zu verstehen.
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Ein Biologe aus Spanien schickt mir die Daten, die er über die Stoffwechselraten und Wachstumsgeschwindigkeit von tausenden biologischer Arten zusammengetragen hat. Ich bin total fasziniert und verblüfft: Von den kleinsten Bakterien bis hin zu Walen folgen die Daten für das Wachstum demselben Potenzgesetz. Dahinter muss ein grundlegendes Prinzip über den Energiehaushalt in Ökosystemen stecken, das bisher niemand versteht. Wir unterhalten uns über Skype darüber, wie man einer Erklärung auf die Spur kommen kann.
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Man hat mich auf einen Workshop in die USA eingeladen, auf dem wir darüber diskutieren, was die Physik zum Verstehen biologischer Systeme beitragen kann. Ich moderiere die Sitzung zum Zusammenspiel von Ökologie und Evolution. Wir diskutieren kontrovers darüber, welche Kräfte und Einflüsse Evolutionsprozesse antreiben. In den anderen Sitzungen faszinieren mich die Belege dafür, dass viele biologische Abläufe optimiert sind.
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In das physikalische Kolloquium der TU Darmstadt habe ich einen Sprecher eingeladen, der über den Unterschied zwischen Physik und Biologie vorträgt. Er erklärt, wie biologische Organismen Information über die Umwelt verarbeiten und die richtige Reaktion auf einkommende Signale berechnen. Er argumentiert, dass die Physik allein nicht ausreicht, um die Biologie zu erklären. Wir haben eine interessante Diskussion darüber, wie Evolution funktioniert und wie die abstrakte Welt der Logik und der Möglichkeiten die materielle Welt beeinflusst.
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In der Philosophie-Abteilung der Universität Bonn soll demnächst ein Workshop zum Thema „Abwärtsgerichtete Kausalität” stattfinden. Man hat mich als Sprecherin eingeladen und mich nach einem Titel für meinen Vortrag gefragt. Ich werde darüber reden, dass sich die verschiedenen Gebiete der Physik nicht vollständig auf ein paar wenige Gesetze zurückführen lassen. Dem Reduktionismus vieler Naturwissenschaftler etwas entgegenzusetzen ist eines meiner großen Anliegen.