Nachruf auf Jane Goodall

Am 1. Oktober starb die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall. Ihre Forschung revolutionierte unsere Sicht auf Menschenaffen und zeigte, dass sie uns in mehrerer Hinsicht ähnlicher sind, als wir dachten.

Jane Goodall wurde im Jahr 1934 in London geboren und wuchs an der englischen Südküste auf. Nach der Schule arbeitete Goodall zunächst als Sekretärin, da sie sich ein Universitätsstudium nicht leisten konnte. 1957 erfüllte sie sich jedoch ihren Kindheitstraum und reiste nach Afrika, wo sie den bekannten Paläoanthropologen Louis Leakey kennenlernte. Leakey erkannte ihr außergewöhnliches Beobachtungstalent und schickte sie 1960 nach Tansania, um das Verhalten wildlebender Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark zu erforschen. Mit viel Geduld gewann sie das Vertrauen der Schimpansen und konnte die Tiere aus nächster Nähe beobachten. Sie entdeckte, dass Schimpansen Werkzeuge herstellen und gezielt einsetzen. Sie benutzen Grashalme, um Termiten aus ihren Bauten zu fischen, und verwenden Steine als Hammer und Amboss, um Nussschalen zu sprengen. Im Gegensatz zu den damaligen Gepflogenheiten gab Goodall den Tieren Namen, statt sie durchzunummerieren, denn sie erkannte, dass jedes Tier eine eigene Persönlichkeit hat, mit individuellen Charakterzügen wie Verspieltheit, Dominanz oder Fürsorglichkeit. Schimpansen-Gruppen haben ein dominantes Alpha-Männchen, das die Gruppe beherrscht, doch auch unter den Weibchen gibt es eine Hierarchie. Goodall dokumentierte auch, dass Schimpansen Freude, Trauer, Mitgefühl und Zuneigung empfinden können und dass sie Freundschaften schließen, einander trösten und sogar um Verstorbene trauern. Ferner fand Goodall heraus, dass Schimpansen nicht nur pflanzliche Nahrung zu sich nehmen, sondern auch Fleisch fressen und sogar gemeinschaftlich auf die Jagd nach anderen Affenarten gehen. Sie zeigen auch Agression und attackieren andere Schimpansengruppen. Diese Erkenntnis, bekannt als die „Gombe-Schimpansen-Kriege“ (1974–1978), war schockierend, da man Tiere bis dahin als grundsätzlich friedlich angesehen hatte. Goodall beschrieb auch Momente, in denen Schimpansen so etwas wie Rituale zeigten oder Naturereignisse anscheinend mit Staunen und Ehrfurcht betrachteten, was sie als frühe Formen spiritueller Erfahrung deutete. Ihre Forschung stellte viele Annahmen der damaligen Wissenschaft infrage. 1965 promovierte sie mit ihren Forschungsergebnissen an der University of Cambridge, ohne zuvor ein Bachelorstudium absolviert zu haben.

In den folgenden Jahrzehnten widmete sich Goodall zunehmend dem Natur- und Tierschutz. 1977 gründete sie das Jane Goodall Institute, das sich für den Schutz von Schimpansen und ihren Lebensräumen einsetzt. 1991 rief sie außerdem das Roots & Shoots-Programm ins Leben, das junge Menschen weltweit motiviert, sich für Umwelt, Tiere und Menschen zu engagieren. Das Programm zeigt, dass jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann – auch durch kleine, alltägliche Entscheidungen. Im Jahr 2020, also im Alter von 86 Jahren (!) gründete sie zusätzlich ihren Podcast „Hopecast“, in dem sie mit Gästen aus Wissenschaft, Aktivismus, Kunst und Gesellschaft über Nachhaltigkeit, Naturschutz, Empathie und die Rolle des Einzelnen bei der Gestaltung einer besseren Welt sprach. Sie galt als eine der wichtigsten Stimmen im globalen Umwelt- und Tierschutz. Sie reiste unermüdlich um die Welt, hielt Vorträge und setzte sich für nachhaltiges Handeln im Umgang mit der Natur ein. Auf einer dieser Vortragsreisen starb sie im Alter von 91 Jahren. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter den Friedenspreis der Vereinten Nationen und den Templeton-Preis.

Goodall wuchs in einer christlichen Familie auf und war in ihrer Jugend regelmäßig in der Kirche aktiv. Später betonte sie jedoch, dass sie nicht religiös im Sinne von lehrmäßigen Glaubenssätzen sei. Sie verstand sich als Christin, weil sie so erzogen wurde, war aber offen für andere Religionen wie Islam, Hinduismus etc. Wenn sie gefragt wurde, ob sie an Gott glaube, sagte sie meistens, sie habe keine klare Definition davon, aber sie fühle, dass es eine „große spirituelle Macht“ gebe, besonders wenn sie in der Natur sei. Jane Goodall sah keinen Gegensatz zwischen ihren Forschungsergebnissen und dem Glauben. Sie betonte oft, dass sie das Leben, die Natur und das Universum mit Ehrfurcht sehe. Es gebe viele Dinge, die „unerklärlich“ seien durch Wissenschaft allein, z.B. Bewusstsein, Liebe oder Moral.

Was lerne ich von Jane Goodalls Leben und Forschung für meinen christlichen Glauben? Zunächst sehe ich Jane Goodall als großes Vorbild, sowohl was ihre Ausdauer, Wissensbegierde und Offenheit für neue Einsichten betrifft, als auch ihren Einsatz für ihre Werte und Überzeugungen und die Bewahrung der Schöpfung. Die Entdeckung, dass Schimpansen eine hohe Intelligenz, ein komplexes soziales Leben und vielfältige Emotionen haben, bringt mich zum Staunen über den Schöpfer und weckt in mir einen tiefen Respekt für unsere Mitgeschöpfe und nächsten Verwandten. Gleichzeitig werfen Goodalls Entdeckungen spannende theologische Fragen auf: Was empfinden Schimpansen, wenn sie andere Schimpansen ermorden? Haben sie so etwas wie ein Schuldbewusstsein, oder sind sie ausschließlich durch Instinkte getrieben? In welcher Form gilt das Erlösungswerk von Jesus nicht nur für uns Menschen, sondern auch für die Natur, die laut Paulus „seufzt und in Wehen liegt“ und „frei werden wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit“ (Rö. 8,20-22)? Die theologische Diskussion zu diesen Fragen widerzugeben übersteigt allerdings meinen momentanen Wissensstand und den Rahmen dieses Blogs...

Meine früheren Blogbeiträge zum Sündenfall, zum Leid in der Schöpfung, zur Verwandtschaft von Menschen und Schimpansen und zum Menschen als Ebenbild Gottes und „Krone der Schöpfung“ haben einen gewissen Bezug zu den in diesem Blogbeitrag angesprochenen Themen.

Neben eigener Lektüre habe ich mir bei der Erstellung dieses Blogbeitrags von ChatGPT helfen lassen.

Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.

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