Francesco Redi, die Kirche und die Lehre von der Spontanzeugung
In der Antike und im Mittelalter war der Glaube, dass gewisse Lebewesen spontan entstehen können, weit verbreitet. Diese sogenannte Spontanzeugung schien durch Beobachtung belegt: In verwesendem Fleisch bilden sich Maden, nach der Überflutung der Nilufer kommen Frösche aus dem Schlamm, und in Kornspeichern wimmelt es auf einmal von Mäusen. So lehrte zum Beispiel der berühmte griechische Philosoph Aristoteles (4. Jh. v. Chr.), der die belebte Natur intensiv untersuchte, in seinen biologischen Schriften die Spontanzeugung, insbesondere bei Insekten. Da Insekteneier mit bloßem Auge kaum zu erkennen und zudem oft gut versteckt sind, wusste man damals von vielen Insektenarten nicht, dass sie Eier legen. Da es keinen Grund gab, an der Spontanzeugung zu zweifeln, wurde die Lehre von der Spontanzeugung schon von der frühen Kirche in die christliche Theologie integriert. Im Unterschied zu Aristoteles betrachteten die Kirchenväter aber die spontane Entstehung von Lebewesen nicht als etwas, was die Natur aus eigener Kraft hervorbrachte, sondern als Ausdruck der göttlichen Vorsehung: Gott habe den Elementen bei der Schöpfung Kräfte verliehen, durch die sie unter geeigneten Umständen selbst Leben hervorbringen könnten. So las man auch die biblischen Schöpfungstexte: In Genesis 1,20 heißt es „Das Wasser bringe hervor ein Gewimmel lebendiger Wesen“, und in Genesis 1,24 „Die Erde bringe hervor Lebewesen nach ihrer Art“. Kirchenväter wie Basilius von Caesarea, Ambrosius und Augustinus deuteten diese Stellen als Hinweis darauf, dass Erde und Wasser bleibende schöpferische Kräfte besäßen. Augustinus sprach von den „verborgenen Keimen“, die Gott in die Materie gelegt habe, damit sie im Lauf der Zeit Leben hervorbringen könne. In der Theologie des Hochmittelalters wurde die christliche Lehre sehr eng mit der Philosophie des Aristoteles verbunden. So glaubte auch der bekannteste Theologe dieser Zeit, Thomas von Aquin (13. Jh.), an die Spontanzeugung und schrieb: „Gott gab den Elementen die Kraft, Lebewesen hervorzubringen, wenn geeignete Bedingungen zusammentreffen.“ Bis ins 17. Jahrhundert blieb das aristotelische Weltbild die offizielle Grundlage kirchlicher Universitäten. Es bildete den Lehrplan in Philosophie und Theologie. Die Lehre der Spontanzeugung war so verbreitet, dass sie als selbstverständlich galt.
Der italienische Arzt und Wissenschaftler Francesco Redi (1626-1697) war der erste, der kontrollierte, systematische biologische Experimente durchführte und die Idee der Spontanzeugung experimentell testete. In seinen Artikel Esperienze intorno alla generazione degl’insetti aus dem Jahr 1668 beschrieb er Experimente, die belegten, dass Maden in verwesendem Fleisch nicht spontan entstehen. Er legte Fleisch in Gefäße, von denen einige offen, andere mit luftdurchlässiger Gaze bedeckt und wieder andere fest verschlossen waren. In den offenen Gefäßen, zu denen Fliegen Zugang hatten, entwickelten sich Maden. Die geschlossenen und die abgedeckten Behälter blieben frei von Maden. Redi untersuchte die Fliegen auch unter einem Mikroskop, das damals eine recht neue Erfindung war, und entdeckte, dass Fliegen Geschlechtsorgane haben und dass sie Eier legen, aus denen später Maden schlüpfen. Damit bewies Redi, dass Maden nicht spontan aus dem Fleisch entstehen, sondern aus Eiern der Fliegen. Redi formulierte den berühmten Satz: „Omne vivum ex ovo“ – „alles Leben entsteht aus einem Ei“.
Redis Werk markierte einen Wendepunkt: Zum ersten Mal wurde ein theologisch gestütztes Naturprinzip – die Spontanzeugung – durch systematische Beobachtung und kontrollierte Experimente widerlegt. Damit brach Redi mit der aristotelisch-kirchlichen Einheit von Theologie und Naturphilosophie und begründete eine neue, empirisch gestützte Sicht der Biologie. Seine Methode des Vergleichs von Versuchs- und Kontrollgruppen war der erste dokumentierte Einsatz moderner wissenschaftlicher Methodik in der Biologie. Auch wenn seine Ergebnisse zu Lebzeiten nicht sofort anerkannt wurden, legten sie den Grundstein für Louis Pasteurs Arbeiten zwei Jahrhunderte später, die die Spontanzeugung endgültig widerlegten, da Pasteur zeigen konnte, dass selbst Mikroorganismen nicht spontan entstehen.
Redi wandte die Methode der kontrollierten biologischen Experimente auch auf andere Forschungsfragen an: Seine frühe Forschung widmete sich dem Gift von Schlangen: In seiner Arbeit Osservazioni intorno alle vipere (1664) widerlegte er mehrere volkstümliche Irrtümer – etwa dass Vipern Wein tranken oder ihr Gift im Gallengang produziert werde. Er zeigte stattdessen, dass das Gift in Drüsen im Kopf produziert wird und dass es nur bei Einspritzung in den Blutkreislauf wirkt. Hierzu spritzte er das Schlangengift verschiedenen Tieren ein und sezierte sie nach ihrem Tod. So fand er heraus, dass das Gift das Blut in den Adern gerinnen lässt. Darüber hinaus widmete er sich der Parasitologie: In seinem Werk Osservazioni intorno agli animali viventi che si trovano negli animali viventi (1684) beschrieb er über hundert Parasitenarten, führte erste chemische Behandlungsversuche durch und begründete damit die moderne Parasitenkunde.
Obwohl Redis Ergebnisse zur Spontanzeugung einer tief verankerten Position der Kirche wiedersprachen, geriet er nicht in Konflikt mit der Kirche, ganz im Gegensatz zu Galileo Galilei 60 Jahre vorher, obwohl er genau wie Galilei in Florenz arbeitete und im Dienste der Medici stand. Die katholische Kirche hatte im Allgemeinen eine positive Haltung gegenüber naturwissenschaftlicher Forschung, solange diese nicht unmittelbar dogmatische Fragen anging oder die göttliche Schöpfung und Herrschaft direkt infrage stellte. Untersuchungen zur Natur wurden häufig als Erforschung von Gottes Werk verstanden. Im Unterschied zu Galilei lag der Schwerpunkt von Redis Forschung dabei auf weniger zentralen Bereichen der Natur – Insekten, Parasiten, Giftschlangen – und nicht unmittelbar auf heiklen theologischen Kernfragen wie der Entstehung der Welt, des Menschen oder der kosmologischen Ordnung. Doch der Hauptgrund, warum die Kirche auf Redi anders regierte als auf Galilei, ist vermutlich, dass Redi im Gegensatz zu Galilei behutsam vorging. Er behauptete nicht kategorisch, dass Spontanzeugung völlig unmöglich sei, sondern zeigte experimentell, dass sie zumindest bei Insekten nicht so geschieht, wie man es sich gemeinhin dachte. Er ging nicht auf Konfrontationskurs, sondern führte freundlich und geduldig einen Dialog mit Personen anderer Meinung, und er benutzte die Bibel, um aufzuzeigen, dass die für die Spontanzeugung angeführten Bibelstellen seines Erachtens falsch interpretiert wurden. Allerdings konnte er hierbei auch sehr deutlich werden, insbesondere wenn die Auferstehung der Toten als Beleg für Spontanzeugung herangezogen wurde...
Zu diesem Blogbeitrag wurde ich durch die Lektüre des Buches „The Most Famous Christian Biologists in History“ von Niels Arboel inspiriert, der im ersten Kapitel Francesco Redi portraitiert und darüber nachdenkt, warum dieser nicht das Schicksal Galileis erlitt. Für die Suche nach weiteren Informationen zu Redi und der Spontanzeugung habe ich u.a. Hilfe von ChatGPT in Anspruch genommen und einige der von der KI vorgeschlagenen Formulierungen übernommen.
Zu Galilei und der Diskussion um das heliozentrische Weltbild habe ich in den vergangenen Jahren in diesem und diesem Blogbeitrag etwas geschrieben.
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