Was ist „Intelligent Design“?

„Intelligent Design“ bedeutet „intelligente Konzeption“ oder „intelligente Planung“. Die Vertreter dieses Konzepts argumentieren, vieles in der belebten Natur sei so komplex, dass es unmöglich durch natürliche Prozesse allein entstanden sein kann. Es müsse ein intelligenter Konstrukteur dahinter stecken. Weder der Begriff noch das Argument ist neu, doch seit den 1990er Jahren wurde „Intelligent Design“ zu einem vor allem in den USA viel diskutierten Begriff, da viele evangelikale Christen sich darum bemühten, ihn in die Lehrpläne von Schulen zu integrieren, was widerum die Gegner auf den Plan rief.

Die „Intelligent-Design“-Bewegung ist nicht homogen, sondern umfasst Leute mit verschiedenen Sichtweisen. Ich möchte mich daher in diesem Beitrag auf die Argumente und Ideen derjenigen beiden Wissenschaftler konzentrieren, die durch ihre viel gelesenen Bücher einen besonders prägenden Einfluss haben.

Der Biochemie-Professor Michael Behe aus dem Staat Pennsylvania in den USA beschreibt in seinem 1996 erschienenen Buch „Darwin’s Black Box“ eine Reihe von faszinierenden „Maschinen“, die aus Molekülen gebaut sind und die sich in den Zellen unseres Körpers oder in Bakterien befinden. Zum Beispiel besteht das Antriebssystem von Kolibakterien, die Geißel, aus mehreren aufeinander abgestimmten Teilen: Propeller, rotationsfähige Lagerung, Drehmotor, Energieversorgung, … Wenn man eines dieser Teile wegnimmt, funktioniert die Geißel nicht mehr. Das bedeutet, sie ist „nichtreduzierbar komplex“. Nichtreduzierbar komplexe Systeme, so Behe, können aber nicht durch einen Evolutionsprozess entstanden sein, da sie ja nicht schrittweise, durch eine Folge von zufälligen kleinen Änderungen, von denen jede einzelne einen Überlebensvorteil bringt, gebildet werden können. Sie müssen auf Anhieb mit allen Teilen da sein, und das geht nur, wenn ein intelligentes Wesen sie sich ausgedacht und sie gemacht hat.

Der Mathematiker, Philosoph und Theologe William Dembski überlegt ebenfalls, woran man Design erkennen kann. In seinem 1998 erschienenen Buch „The Design Inference“ benützt er u.a. auch Vergleiche mit der Kriminologie: Angenommen, jemand wird tot aufgefunden, und es gibt eine Menge Umstände und Indizien, die diesen Tod begleiten. Wenn ihr zufälliges Zusammentreffen extrem unwahrscheinlich ist, sie aber alle spezifisch zu diesem Tod beitragen, schließt man auf Mord, also „Intelligente Planung“. Genauso könne man auch bei komplexen Objekten aus der Natur erkennen, ob sie durch Planung entstanden sind. Man müsse dazu nur die Wahrscheinlichkeit für das zufällige gleichzeitige Zusammenkommen ihrer Bestandteile abschätzen, und wenn sie unterhalb einer bestimmten (extrem kleinen) Zahl liegt, ist das Objekt mit Sicherheit geplant gewesen.

Beide, Behe und Dembski, sind Christen, und für sie ist der „intelligenter Planer“ natürlich Gott. Beide sind seriöse Wissenschaftler, die die Ergebnisse der Wissenschaft kennen und ernst nehmen. Keiner von beiden bezweifelt das von der Wissenschaft berechnete Alter der Erde oder bestreitet kategorisch die Abstammung aller Lebewesen von wenigen gemeinsamen Vorfahren. Aber sie meinen, dass Gott immer wieder in die natürlichen Prozesse eingegriffen hat, und dass man dies wissenschaftlich nachweisen kann, indem man nichtreduzierbar komplexe Systeme aufspürt und Wahrscheinlichkeiten berechnet.

Wie sind diese Argumente zu bewerten? Viele Christen werden den Vertretern des „Intelligent Design“ zustimmen, wenn sie sagen, die Natur sei so wunderbar und so komplex, dass sie auf einen Schöpfer hinweist. Dies sagt Paulus ja auch im ersten Kapitel des Römerbrief: „Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken.“ Auf der anderen Seite müssen die Naturwissenschaftler zugeben, dass die genauen Mechanismen und Prozesse, durch die viele molekulare Maschinen entstanden sind, tatsächlich noch teilweise unbekannt sind.

Dennoch gibt es sowohl von wissenschaftlicher, als auch von theologischer Seite Kritik an dem Konzept von „Intelligent Design“, so wie ich es oben beschrieben habe. Viele Wissenschaftler argumentieren, dass man sich durchaus für nichtreduzierbar komplexe Systeme einen schrittweisen Entstehungsprozess vorstellen kann. Zum Beispiel können einzelne Bauteile ursprünglich eine andere Aufgabe erfüllt haben, für die weitere Bauteile nicht nötig waren. In der Tat findet man Teile des Geißelmotors von Kolibakterien in anderen Bakterien mit einer anderen Funktion. Außerdem kann ein Bauteil, das ursprünglich entbehrlich war, durch Veränderung anderer Teile auf einmal wesentlich werden, so dass man auf dieses Teil dann nicht mehr verzichten kann. 

Gegen die von Dembski vorgeschlagenen Berechnungen der Wahrscheinlichkeit für das Entstehen eines nicht reduzierbar komplexen Systems wird vorgebracht, dass diese Rechnungen auf naiven Annahmen über den Entstehungsprozess beruhen, wie zum Beispiel dem zufälligen Zusammenkommen aller Bestandteile. Doch solche Rechnungen zeigen bestenfalls, dass der betrachtete Entstehungsprozess nicht so abgelaufen sein kann, wie die Rechnung voraussetzt. Es ist eigentlich unmöglich, alle Wege aufzuzählen, auf denen ein Antriebssystem für eine Geißel entstehen kann, oder gar ihre Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen. In der Tat gibt es in der Welt der Bakterien eine große Vielfalt von Geißeln und Antriebssystemen. Die Konstruktionsidee eines solchen Antriebs kann verschieden sein, die genaue molekulare Umsetzung eines Bauteils kann auf viele Arten geschehen, und die Bauteile können früher vielfältigen anderen Zwecken gedient haben. Außerdem kann es tiefere biologische Gesetze geben, die Evolutionsprozesse leiten und die wir noch nicht richtig verstehen.

Ein wichtiger theologischer Einwand gegen die Argumente von Behe und Dembski ist der folgende: Beide Autoren teilen die Natur ein in Dinge, die durch die Naturgesetze verbunden mit Zufall, und solche, die durch „Design“ entstanden sein sollen. Gottes Handeln und das Wirken der Naturgesetze werden hier als sich gegenseitig ausschließend gesehen. Gott ist dann nur noch für das zuständig, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Dies steht aber im Gegensatz zu dem, was die Bibel über Gottes Beziehung zur Natur lehrt: „In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist…. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.“ (Kol.1, 16+17).

Viele christliche Wissenschaftler vertreten daher einen Standpunkt, der anders ist als derjenige der Vertreter des Intelligent Design, und den ich in den folgenden drei Punkten beschreibe:

  1. Gott ist der Schöpfer aller Dinge, sowohl derer, für die wir eine wissenschaftliche, „natürliche“ Erklärung haben, als auch derer, die wir (noch?) nicht erklären können. Also ist nichts wirklich „von alleine“ entstanden, sondern alles ist von Gott gewirkt.

  2. Die Naturgesetze sind ein Ausdruck von Gottes Wirken. Gott erlaubt uns, viele dieser Gesetze zu verstehen. Dadurch wird er nicht überflüssig, sondern wir sollen darüber staunen, wie weise Gott sie ausgedacht hat.

  3. Man muss die beiden folgenden Fragen strikt auseinander halten: Die erste Frage ist die nach dem „wie“: Durch welche Prozesse und durch welche Mechanismen sind die Dinge entstanden? Für diese Frage ist die Wissenschaft zuständig, die schon erstaunlich viel auf diese Weise erklären kann. Die zweite Frage ist die Frage nach dem „wer“: Wer ist der Urheber und Planer hinter all diesen Dingen? Diese Frage liegt jenseits der Wissenschaft, und darauf gibt z.B. die Bibel eine Antwort.

Zusammengefasst: Das Anliegen der „Intelligent-Design“-Bewegung können bestimmt viele Christen teilen: Die Schöpfung ist so faszinierend und komplex, dass sie allein dadurch schon auf Gott hinweist. Aber der Versuch, den Schöpfer wissenschaftlich zu fassen anhand von „nicht reduzierbar komplexen Systemen“, greift zu kurz, da Gott über seiner Schöpfung und über der Wissenschaft steht. Wahrscheinlich findet die Wissenschaft eines Tages Erklärungen für die Entstehung der angeblich irreduzibel komplexen Systeme. Doch diese Erklärungen werden Gott nicht überflüssig machen, sondern sie lassen uns hoffentlich um so mehr darüber staunen, wie großartig Er sich alles ausgedacht hat!

Hinweis: Dieser Text ist mit kleinen Veränderungen ein Beitrag, den ich vor längerer Zeit für eine christliche Zeitschrift schrieb. In einer stark erweiterten Form ging der damalige Beitrag in den zusammen mit Gunter Schütz geschriebenen Artikel Intelligent Design: Kann man Gottes Handeln wissenschaftlich fassen? (Evangelium und Wissenschaft 28, 2007, 2-23) ein.

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