Aufgefahren in den Himmel

Am Donnerstag ist Christi Himmelfahrt. Viele können mit diesem Feiertag nichts anfangen. Oft wird er stattdessen „Vatertag“ genannt. Doch die frühe Kirche hielt die „Himmelfahrt“ für so wichtig, dass sie sie ins apostolische Glaubensbekenntnis aufnahm: „Aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes. Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“

Ist der Glaube an die „Himmelfahrt“ nicht schon längst veraltet? Ihm liegt doch noch das alte dreistöckige Weltbild zugrunde mit dem Himmel Gottes über der Erde und dem Totenreich im Inneren der Erde. Tatsächlich wird auch das Totenreich im Glaubensbekenntnis erwähnt: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes.“ heißt es zwei Sätze vor der Himmelfahrt.

Doch man darf diese Formulierungen der frühen Kirche nicht verübeln. Jeder von uns muss das, was er sagen will, in der Sprache und den Vorstellungen seiner Zeit ausdrücken. Wer sich vorstellt, dass Gott oben im Himmel wohnt, stellt sich auch vor, dass jemand, der zu Gott geht, in den Himmel auffährt. Auch wenn die Vorstellung heute veraltet ist, ist die Aussage, dass Jesus nach seiner Auferstehung zu Gott zurückgekehrt ist, damit nicht automatisch entkräftet. Im Gegenteil, wenn Jesus wirklich von den Toten auferstanden ist und danach noch eine Zeitlang seinen Jüngern erschienen ist, ist es absolut stimmig, wenn er sich irgendwann endgültig von ihnen verabschiedet hat und zurück zu Gott gegangen ist.

Die Bibel erzählt dieses Ereignis sehr schlicht. Am Ende des Lukasevangeliums (Kap. 24,50+51) steht hierzu nur: „Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ Am Anfang der Apostelgeschichte wird Lukas etwas ausführlicher (Kap. 1,9-11): „Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“

Der Literaturwissenschaftler und bekannte christliche Apologet C.S. Lewis erklärt die Geschichte von der Himmelfahrt in seinem Buch „Miracles“ so (meine Übersetzung, da ich nur die englische Ausgabe besitze):

Die Berichte sagen, dass der verherrlichte, aber doch in gewissem Sinne noch körperliche Christus ungefähr sechs Wochen nach der Kreuzigung in einen anderen Seinszustand überging. [...] Die Aussage im Markusevangelium, dass er sich zur Rechten Gottes setze, müssen wir als eine Metapher verstehen. Selbst für den Schreiber war es ein poetisches Zitat aus Psalm 90. Aber die Aussage, dass seine Gestalt aufstieg und verschwand, lässt sich nicht so behandeln. [...]

Wenn es verschiedene Welten und verschiedene Seinsebenen gibt, verschieden, aber nicht immer scharf getrennt, was hätten unserer Meinung nach die Zuschauer sehen sollen, wenn Christus von der einen Welt zur anderen ging? Vielleicht wäre uns ein sofortiges Verschwinden am angenehmsten. Ein plötzlicher Bruch zwischen Sichtbar und Unsichtbar würde uns weniger beunruhigen als irgendeine Art von Verbindung. Aber wenn die Beobachter sagen, sie sahen zuerst eine Art Bewegung nach oben und dann eine Art verschwommener Helligkeit (was wohl mit der „Wolke“ gemeint ist, so wie im Bericht von der Verklärung), und danach nichts mehr – können wir da Einwände haben? […] Bewegung in fast jede Richtung hat von der Erde aus gesehen eine Komponente „nach oben“. […]

Die eigentlichen Schwierigkeiten haben wir, weil unserer Überzeugung nach […] die Schreiber des Neuen Testaments tatsächlich glaubten […], dass ihr Meister sich auf die Reise in einen lokalisierbaren „Himmel“ gemacht hat, wo Gott auf einem Thron saß und wo ein zweiter Thron stand, der auf ihn wartete. Und in einem gewissen Sinn dachten sie das wohl tatsächlich. Und ich denke, dass sie es deswegen, unabhängig von dem, was sie tatsächlich gesehen haben, […] als vertikale Bewegung interpretiert haben.

C.S. Lewis erklärt in dem Buch immer wieder, dass wir die Vorstellungen, die die Leute sich damals machten, trennen müssen von dem wesentlichen Inhalt ihres Glaubens. Weiter vorne in „Miracles“ schreibt er hierzu:

Stellen wir uns einen Landbewohner aus Galiläa vor, der dachte, dass Christus sich buchstäblich und körperlich „zur Rechten des Vaters gesetzt“ hat. Wenn solch ein Mann dann zum Philosophiestudium nach Alexandria gegangen wäre, hätte er herausgefunden, dass der Vater keine rechte Hand hat und nicht auf einem Thron sitzt. Meinen wir, dass das in seinen Augen den Inhalt und die Bedeutung dieser Doktrin geändert hätte? […] Physikalische Details über einen vermeintlichen Thronsaal sind nicht das, worum es ihm ging. Für ihn war wichtig, dass die Person, die er in Palästina als Menschen kannte, den Tod überlebt hat und nun der höchste Repräsentant des übernatürlichen Wesens ist, das die ganze Realität regiert und erhält. Dieser Glaube besteht unverändert fort, auch nachdem die damit verbundenen Bilder sich als falsch erwiesen haben.

Und was meine ich als Physikerin zu der Frage, wo Gott wohnt? Als ich noch jugendlich war, war ich von dem Gedanken an andere Dimensionen fasziniert. Ich habe damals leidenschaftlich gerne vierdimensionale Würfel gezeichnet (und tue es heute noch manchmal). Wir Physiker stellen oft Berechnungen in mehr als drei Dimensionen an. Sogar in nicht ganzzahligen Dimensionen. In meiner Diplomarbeit habe ich in „4 minus epsilon“ Dimensionen gerechnet. Na gut, am Ende der Rechnung habe ich epsilon auf 1 gesetzt… Die gekrümmten Räume von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie denkt man sich gerne in einen höherdimensionalen ungekrümmten Raum eingebettet. Das ist analog dazu, dass man eine Kugeloberfläche, die ja eine zweidimensionale gekrümmte Fläche ist, in einem dreidimensionalen Raum unterbringen kann. Strenggenommen ist die Vorstellung, dass das Universum sich in eine andere Dimension hinein krümmt, falsch, denn nach der Relativitätstheorie gibt es Raum nur dort, wo es Materie gibt, also gibt es – physikalisch gesehen – kein „außerhalb“ und keine Einbettung in einen höherdimensionalen Raum. Trotzdem finde ich die Vorstellung anderer Dimensionen hilfreich, um mir klar zu machen, dass Gottes Welt gleichzeitig ganz wo anders und doch ganz nah bei uns ist. Dass dies so ist, war übrigens auch den Gläubigen früherer Zeiten schon bewusst, trotz des dreistöckigen Weltbildes: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“ heißt es im 139. Psalm. Und am Ende des Matthäusevangeliums sagt Jesus zu seinen Jüngern „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Gottes Dimension ist allerdings von anderer Qualität als unsere physikalisch oder mathematisch denkbaren Dimensionen. Ich bin schon gespannt darauf, in Gottes zukünftiger Welt mehr darüber zu lernen – wenn ich dann immer noch diese Leidenschaft und Begabung für Physik habe…

Hinweis: Die Frage nach den Vorstellungen über den Kosmos in biblischen Zeiten wurde auch in den Blogbeiträgen vom 20.2.21 und 26.9.20 angeschnitten

 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie alt wurden Noah, Jakob und Mose?

Eine Art Dreikampf

Am dritten Tage auferstanden von den Toten

Long Covid

Harald Lesch und die Frage nach Gott