Adam und Eva
Wie sind die biblischen Texte über die Erschaffung Adams und Evas zu verstehen? Wie haben die ursprünglichen Adressaten dieser Texte sie verstanden? Um dieser Frage nachzugehen, werden wir wieder dem Alttestamentler und evangelikalen Theologen John Walton folgen, dessen Buch „The Lost World of Genesis 1“ ich im Blogeintrag vom 21. November vorgestellt habe. Der Folgeband „The Lost World of Adam and Eve“ enthält ebenfalls viele hilfreiche Hintergrundinformationen und Gedanken. Die Auslegung, die er bietet, ist zwar nicht die einzig mögliche und auch nicht in allen Punkten die von mir favorisierte, doch aufgrund seiner gründlichen Kenntnis der Literatur der damaligen Zeit lernt man in jedem Fall viel von ihm.
Im Folgenden wähle ich aus der Fülle von Themen in seinem Buch diejenigen aus, die mir zum Verständnis der Erschaffung der Menschen am wichtigsten erscheinen. Die Reihenfolge und Bezeichnung der Punkte folgen hierbei nicht unbedingt denen des Buchs.
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„Adam“ hat mehrere Bedeutungen: 'adam ist ein hebräisches Wort und bedeutet „Mensch“ (von 'adamah = Erde). Eva bedeutet „Leben“. Die Bezeichnung 'adam wird je nach Kontext mit einer etwas anderen Bedeutung verwendet. Sie kann erstens den Menschen allgemein meinen, z.B. wenn Gott im ersten Schöpfungsbericht den Menschen erschafft (1. Mose 1, 26+27). Dort heißt es „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde … und schuf sie als Mann und Frau … und sprach zu ihnen ...“. Die Verwendung des Plurals in den hinteren Satzteilen zeigt, dass 'adam sich auf alle damals geschaffenen Menschen bezieht, d.h. auf die Menschheit. In der Paradiesgeschichte dagegen (1. Mose 2+3) wird 'adam fast immer mit dem bestimmten Artikel verwendet, also in der Form ha'adam. Wörtlich übersetzt heißt das „der Mensch“, doch das spiegelt nicht jede Übersetzung wider. In der Lutherübersetzung steht in 1. Mose 2 „der Mensch“, aber in 1. Mose 3 „Adam“. In der Einheitsübersetzung wird in beiden Kapiteln für ha'adam die Übersetzung „der Mensch“ gewählt. Bei dieser zweiten Verwendungsart von 'adam spricht der Text zwar von einem einzelnen Menschen, doch weist der allgemeine Ausdruck „Der Mensch“ darauf hin, dass es um viel mehr geht als das Erlebnis eines einzelnen Menschen. „Der Mensch“ ist der Repräsentant aller Menschen. In gewisser Weise haben wir alle Anteil an seinem Erleben. Und drittens wird 'adam mehrfach als Eigenname verwendet (ohne Artikel), insbesondere bei den Stammbäumen, und dann mit „Adam“ übersetzt. Allerdings können die Namen „Adam“ und „Eva“ nicht die Originalnamen damaliger Personen gewesen sein, denn es gab zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, noch nicht die hebräische Sprache.
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Die Erschaffung aus Staub gilt für alle Menschen: Wir modernen Leser stellen uns bei der Lektüre von 1. Mose 2 vor, dass Adam auf anderem Wege geschaffen wurde als alle anderen Menschen: Während andere Menschen von Frauen geboren wurden, wurde Adam von Gottes Hand aus Staub geformt, und dann wurde ihm der Atem Gottes eingeblasen. Doch die Schreiber der Bibel verstanden dies anders. Das können wir eine Reihe von späteren Stellen entnehmen, in denen von anderen Menschen gesagt wird, dass sie von Gott geformt wurden oder aus Staub sind: Psalm 103,14: „Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.“ Hiob 10,9: „Bedenke doch, dass du mich aus Lehm gemacht hast, und lässt mich wieder zum Staub zurückkehren?“ Prediger 3,20: „Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub.“ Diese Stellen zeigen, dass das Formen aus Staub oder Lehm sich nicht auf den materiellen Entstehungsprozess bezieht (oder nur in dem allgemeinen Sinne, dass unser Körper aus irdischem Material gemacht ist), sondern etwas über das Wesen von uns Menschen aussagt. Auch in anderen Völkern des Alten Orients wurde dieses Bild verwendet: In ägyptischen Reliefs sehen wir Pharaonen, die von den Göttern aus Ton geformt werden.
Walton weist darauf hin, dass auch bei Pflanzen und Tieren die im Schöpfungsbericht beschriebene Erschaffung sich nicht grundlegend von der heutigen Erschaffung unterscheidet: Wenn es in 1. Mose 1, 11 heißt, dass die Erde Gras und Kräuter und Bäume aufgehen lassen soll, war das kein einmaliges Ereignis, da auch heute noch die Pflanzen aus der Erde hervorkommen. Ähnlich ist es mit Vers 24, wo es heißt, dass die Erde „lebendiges Getier“ hervorbringen soll. Auch das tut sie heute noch: Viele Jungtiere kommen aus dem Boden, wo sie in unterirdischen Gängen oder Höhlen geboren wurden.
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Die Erschaffung aus Staub bedeutet, dass der Mensch sterblich geschaffen wurde: Die Bedeutung der Erschaffung aus Staub (und nicht aus Lehm oder Ton oder Erde) wird in 1. Mose 3, 19b genannt: „Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ Also bedeutet „Staub“ Sterblichkeit. Die damaligen Israeliten kannten das gut: Tote, die ins Familiengrab gelegt wurden, waren nach einem Jahr zu Staub zerfallen; nur die Knochen blieben erhalten und wurden in Ossuare gelegt. Ein weiteres Argument für Adams Sterblichkeit liefert der Baum des Lebens im Paradies: Der wäre nicht nötig, wenn Adam ohne ihn schon unsterblich wäre. Bei der Vertreibung aus dem Paradies heißt es (1. Mose 3,22): „dass er … nicht … vom Baum des Lebens … esse und lebe ewiglich“.
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Die Erschaffung von Eva aus Adams Seite ist eine archetypische Aussage über alle Frauen: Das hebräische Wort, das hier steht, kann „Rippe“ oder „Seite“ heißen. Walton plädiert dafür, es mit „Seite“ oder „Hälfte“ zu übersetzen, da dies die häufigere Bedeutung im Alten Testament ist. Außerdem nennt Adam Eva auch „Fleisch von meinem Fleisch“ und nicht nur „Bein von meinem Bein“, s. 1. Mose 2, 23. Walton meint, dass Adam das Geteilt-Werden als Vision im Traum erlebte, denn es heißt, dass er in einen tiefen Schlaf versetzt wurde. Diese Vision zeigt eine wichtige Realität: Die Frau ist die andere Hälfte des Mannes, beide gehören zusammen. Dies gilt allgemein für jedes Paar, denn in 1. Mose 2, 24 heißt es: „Darum (d.h. wegen der Erschaffung von Eva aus Adams Seite) wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.“
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Der zweite Schöpfungsbericht ist eine Folgeerzählung zum ersten: Oft verstehen bibeltreue Christen die Ereignisse in 1. Mose 2 als eine detailliertere Schilderung der Ereignisse des sechsten Schöpfungstages. Walton bringt mehrere Argumente gegen diese Lesart: Zum einen passt die Reihenfolge der Erschaffung von Pflanzen, Tieren und Mensch nicht zusammen, wenn man beide Texte als Beschreibung derselben Ereignisse versteht. Zum anderen beschreibt 1. Mose 2 nicht die Erschaffung der Welt, sondern das Anlegen eines Gartens oder Parks, dessen (Nutz-)Pflanzen durch die Gärtnerarbeit des Menschen wachsen sollen. Der Ausgangspunkt der Erschaffung in 1. Mose 1 ist die nicht gestaltete Welt, in 1. Mose 2 ist es der noch nicht gestaltete Garten. Drittens spricht die Einleitung des zweiten Schöpfungsberichts dafür, dass seine Ereignisse zeitlich nach dem ersten anzusiedeln sind: Der einleitende Satz lautet (1. Mose 2, 4) „Dies ist die Geschichte von Himmel und Erde, da sie geschaffen wurden.“ Für „Geschichte“ steht hier das hebräische Wort toledot, das zehnmal in den frühen Kapiteln der Bibel vorkommt. Es steht jeweils im einleitenden Satz eines neuen Abschnitts und wird an den anderen neun Stellen mit „Geschlecht“ oder „Nachkommenschaft“ übersetzt. Es geht nämlich jeweils um die Nachkommen der Person(en), von denen vorher erzählt worden war, z.B. 1. Mose 5, 1: „Dies ist das Buch von Adams Geschlecht“ oder 1. Mose 10, 1: „Dies ist das Geschlecht der Söhne Noahs“. Analog dazu geht es in 1. Mose 2 um das, was sich nach der in Kapitel 1 geschilderten Erschaffung von Himmel und Erde ereignet hat.
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Adam und Eva waren nicht die ersten Menschen: Aus dem vorigen Punkt folgt, dass die Menschheit erschaffen wurde, bevor die Ereignisse aus 1. Mose 2 stattfanden. Laut Walton gab es zur Zeit von Adam und Eva daher außerhalb des Gartens noch andere Menschen. Nur dann wird verständlich, dass Kain Angst hatte, dass jemand ihn erschlägt (1. Mose 4, 14). Außerdem steht in Vers 17, dass Kain eine Frau heiratete und eine Stadt baute, und auch hierfür muss es andere Menschen gegeben haben. Auch wenn Adam und Eva nicht die ersten Menschen waren, waren sie laut Walton die ersten Menschen mit einer von Gott gegebenen besonderen Rolle. Ihre Aufgabe war es, einen priesterlichen Dienst am Ort von Gottes Gegenwart zu tun. Der Auftrag, den Garten zu „bebauen und bewahren“ beschreibt laut Walton einen solchen Priesterdienst.
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Der Garten Eden war ein heiliger Ort: Laut Walton bedeutet Gottes „Ruhen“ am siebten Tag, dass er in seinem Tempel, nämlich der nun geordneten Welt, Wohnung genommen hat, wie ich im Blogbeitrag vom 21.11. berichtet habe. Der Garten Eden war demnach das Zentrum von Gottes Gegenwart und damit ein heiliger Ort. Die Beschreibung des Gartens hat die ursprünglichen Leser an heilige Gärten und Parks erinnert: Die besonderen Bäume, die Wasserquelle, die sich in mehrere lebenspendende Flüsse verzweigt (vgl. auch Hesekiel 47 und Offenbarung 22), und der Mensch, der den Garten pflegen soll, weisen alle auf einen heiligen Garten hin.
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Der „Sündenfall“ besteht darin, dass Adam und Eva sich an Gottes Stelle setzen wollten: Durch ihre priesterliche Rolle waren Adam und Eva die Repräsentanten der damaligen Menschen, und deshalb wurde die ganze Menschheit in ihre Übertretung von Gottes Gebot mit hineingezogen. Adam und Eva haben nicht Tod und Leid in die Welt gebracht. Tod und Leid waren Teil des noch nicht völlig geordneten Kosmos, also ein Rest der ursprünglichen Nicht-Ordnung (s. Blogeinträge vom 21.11. und 5.12.). Das Versagen Adams und Evas bestand darin, unabhängig von Gott weise sein zu wollen, statt in Abhängigkeit von Gott an seinem schaffenden Handeln teilzuhaben. Dadurch kam ein Gottes Schöpfung zerstörendes Element in die Welt. John Walton nennt es Un-Ordnung (disorder) im Unterschied zur Nicht-Ordnung (non-order). Deshalb wurden die Menschen vom Baum des Lebens verbannt, und deshalb haben auch wir keinen Zugang zu ihm und müssen sterben.
In zukünftigen Blogbeiträgen möchte ich auf dieses Thema weiter eingehen und auch andere Ausleger zu Wort kommen lassen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die biblische Geschichte vom Sündenfall auszulegen und in Beziehung zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Vorgeschichte des Menschen zu setzen. John Walton betont immer wieder, dass er seine Auslegung nicht wegen der Naturwissenschaft in den Text hineinliest. Er will zur Wissenschaft keine Stellung beziehen. Er kommt unabhängig von ihr zur Erkenntnis, dass der Bibeltext nicht von der materiellen Herkunft des Menschen spricht und dass es zur Zeit Adams und Evas weitere Menschen gab. Daher braucht man seiner Ansicht nach nur dann, wenn Wissenschaftler grundsätzlich bestreiten, dass Gott der Schöpfer ist, als Christ zu widersprechen. Das „Wie“ der materiellen Schöpfung wird in der Bibel nicht berührt, und die Erforschung dieser Frage können die Christen getrost den Wissenschaftlern überlassen.