Sollen Christen sich für die Umwelt einsetzen?

Neulich überhörte ich bei einem christlichen Treffen ein Gespräch, bei dem jemand sagte, dass die Sorge für die Umwelt für ihn als Christ kein vorrangiges Thema sei. Die Welt würde ja sowieso untergehen. Es sei viel wichtiger, ein paar hundert Kilometer mit dem Auto zu fahren, um einem Freund, der auf der Suche nach Gott sei, zu helfen, als auf diesen Kohlendioxidausstoß zu verzichten.

Bei mir regte sich Widerspruch, und das gleich aus mehreren Gründen. Erstens werden hier zwei Aufgaben, die wir als Christen haben, gegeneinander ausgespielt, als würde die eine die andere ausschließen. Dabei ist doch die Sorge für die Schöpfung ebenso unsere Aufgabe wie das Verkündigen des Evangeliums. Freilich gibt es Situationen, in denen man verschiedene Werte gegeneinander abwägen muss, doch das steht nicht im Widerspruch dazu, dass sie alle wichtig sind. Zweitens wird die Zerstörung der Natur als etwas Unabänderliches dargestellt. Doch es gibt viele Möglichkeiten, den Schaden zu verringern und hier oder da bessere Bedingungen zu schaffen. Die Zerstörung der Umwelt trifft diejenigen besonders hart, die sowieso schon arm und benachteiligt sind. Das christliche Gebot der Nächstenliebe verpflichtet uns dazu, für diese Menschen besonders zu sorgen. Drittens dürfen wir das vermeintlich nahe Weltende nicht als Vorwand dafür nehmen, nicht das zu tun, was uns aufgetragen ist, zumal wir nicht genau wissen können, wann das Weltende kommt.

Kürzlich hörte ich einen Vortrag der Theologin Hilary Marlow von der Universität Cambridge zu diesem Thema, der mich sehr ansprach. Sie wies darauf hin, dass Glaubensgemeinschaften einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben und ihre Mithilfe für die Bewältigung der Umweltprobleme unverzichtbar sei. Ein Zitat des Umweltjuristen Gus Speth aus dem Jahr 2006 macht dies eindrücklich klar:

Früher dachte ich, dass die größten weltweiten Umweltprobleme der Verlust von Biodiversität, der Zusammenbruch von Ökosystemen und der Klimawandel sind. Ich dachte, dass 30 Jahre wissenschaftlicher Forschung Lösungen für diese Probleme bringen würden, doch ich lag falsch. Die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Habgier und Gleichgültigkeit, und um diese anzupacken brauchen wir eine spirituelle und kulturelle Transformation. Das ist etwas, was wir Wissenschaftler nicht bewerkstelligen können.“

Die Sorge für die Armen und die Sorge für die Umwelt sind eng miteinander verflochten, denn die Armen leiden am stärksten unter Umweltverschmutzung, Überschwemmungen, Wassermangel und Dürren. Dies betont auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato Si“ in Absatz 49:

„Ich möchte darauf hinweisen, dass man gewöhnlich keine klare Vorstellung von den Problemen hat, die besonders die Ausgeschlossenen heimsuchen. […] Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“ (Hervorhebungen im Original.)

Neben dem Verweis darauf, dass wir als Christen uns für die Benachteiligten einsetzen sollen, bringt Hilary Marlow einige direkte theologische Argumente dafür, dass wir für die Schöpfung sorgen sollen. Die Schöpfung soll Gott loben (Psalm 148) und Gottes Herrlichkeit widerspiegeln (Psalm 19,1-3). Dies kann sie nur tun, wenn sie nicht zerstört wird. Insbesondere die Propheten des Alten Testaments betonen, dass menschliche Sünde und Ungerechtigkeit sich in der Schöpfung auswirken, ja dass die Erde sogar gegen die Ungerechtigkeit schreit (Hosea 4,1-3, Amos 8,4-8). Der Mensch ist Teil der Schöpfung und hat die Aufgabe, sie zu bewahren (Gen. 2,15).

Das Erlösungswerk Christi gilt nicht nur den Menschen, sondern der ganzen Schöpfung: In Christus wurde alles geschaffen (Kol. 1,15-17), und er hat die ganze Welt erlöst (Joh 3,16-17) und die ganze Schöpfung mit Gott versöhnt (Kol. 1,19-20). Die ganze Schöpfung wartet darauf, dass sie erneuert wird (Offb. 21,5) und seufzt unter dem jetzigen Zustand (Röm. 8,19-22). Wenn Christus die gesamte Schöpfung so wichtig ist, dann muss sie uns auch wichtig sein.

Freilich wird die Erneuerung der Schöpfung erst vollständig geschehen, wenn Christus wiederkommt. Doch das Leben der Christen soll jetzt schon diese Zukunftshoffnung widerspiegeln. Der christliche Glaube ist ein hoffnungsvoller Glaube. Wir beten im Vaterunser „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Mit Jesus kam das Reich Gottes auf die Erde (Luk. 11,20). Dieses Reich ist unter denen, die an ihn glauben, gegenwärtig, und wir Christen sollen als Bürger dieses Reichs leben. Dieses Reich soll also nicht nur „im Himmel“, sondern auch „auf Erden“ sichtbar sein. Ein Aspekt dieses Reichs ist ein guter Umgang mit der Schöpfung.

Was können wir konkret tun? Auf jeden Fall reicht es nicht, nur über das Thema zu reden. Hilary Marlow betont, dass wir ein gutes Beispiel setzen sollen. Das könne andere anstecken und immer größere Kreise ziehen. Wir können etwas an unserem Lebensstil ändern, z.B. mehr pflanzliche Nahrung zu uns nehmen, nachhaltig produzierte und fair gehandelte Produkte kaufen, Energie sparen, etc. Wir können uns auch in der lokalen Politik einbringen oder Initiativen an unserem Wohnort unterstützen. Die Komplexität des Themas dürfe uns nicht davon abhalten, etwas zu tun. Freilich fehlen uns oft Informationen, und es gibt nicht immer eine eindeutig richtige Entscheidung. Auch ist unsere Zeit und Kraft begrenzt. Doch selbst mit diesen Einschränkungen gibt es genügend, was wir tun können.

Hinweise: Thematisch verwandt ist der Blogbeitrag „Fromme Einwände gegen den Klimawandel

Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.

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