Beeinflusst Gott das Wetter?

Ich kenne einige eindrucksvolle Berichte darüber, dass Gebet sich auf das Wetter ausgewirkt hat. In seinem autobiographischen Buch „Da kann ich nur staunen“ berichtet der Pfarrer Heinrich Kemner von dem jährlichen Ahldener Jugendtag, die zum Zeitpunkt des Schreibens bereits 35mal stattgefunden hatte, immer unter freiem Himmel und mit mehreren tausend Teilnehmern. Das Gebet um gutes Wetter für den Jugendtag wurde so zuverlässig erhört, dass die benachbarten Schützenvereine dazu übergingen, ihr Jahresfest auf denselben Tag zu legen. Als eines Jahres der Wetterbericht für den Jugendtag Gewitter, Sturm und Niederschläge ankündigte, sah es so aus, als würde diese Gutwetter-Serie abbrechen. Entsprechend intensiv, aber auch von Zweifeln erfüllt, waren die Gebete. Am Vortag des Jugendtages entsprach das Wetter genau der Vorhersage. Doch am Jugendtag selbst schien am Ort des Treffens die Sonne – während wenige Kilometer entfernt die Wolkenbrüche niedergingen.

Eine meiner Lieblingsgeschichten über Gebetserhörungen steht im Buch „Poking Holes in the Darkness“ von Jaki Parlier. Sie lebte 20 Jahre lang mit ihrem Mann unter dem Managalasi-Stamm in Neu-Guinea, um die Bibel in die Sprache des Stammes zu übersetzen. Eines Jahres blieb die Regenzeit aus, und nach zwei Monaten waren die Gärten ganz trocken, so dass die Yamswurzeln einzugehen drohten. Die Dorfbewohner beteten zu den Geistern, setzten magische Steine und pflanzten magische Blumen, aber nichts half. An einem Abend kamen die Frauen wieder zum Haus der Parliers zur wöchentlichen Bibelstunde, die Jaki hielt. Der Himmel war sternenklar. Die Frauen sagten zu Jaki: „Wenn es heute Nacht nicht regnet, werden die Gärten ganz kaputt gehen und wir werden Hunger leiden. Bitte Gott, dass er heute Nacht Regen sendet.“ Gott war die letzte Hoffnung dieser Frauen. Jaki betete mit bangen Gedanken für Regen. Als nach 20 Minuten Regentropfen auf dem Dach zu hören waren, war allen klar, dass Gott das Gebet erhört und Regen geschickt hatte. Dieser Regen trug wesentlich dazu bei, dass die Managalasi-Leute zum Glauben an Gott kamen.

Man könnte diese Begebenheiten als Zufall oder übertreibende Darstellungen abtun. Schließlich können wir ja wissenschaftlich erklären, wie das Wetter entsteht: Durch die Sonneneinstrahlung auf die Erde entstehen Temperaturunterschiede, die die Konvektionsbewegungen in der Atmosphäre und den Meeresströmungen antreiben. Wenn wir Luftdruck, Feuchtigkeit, Oberflächentemperaturen und -beschaffenheit etc. berücksichtigen, können wir auf Basis physikalischer Gesetze vorhersagen, wie sich das Wetter über die nächsten Tage entwickeln wird. 

Doch diese Vorhersagen sind mit einigen Unsicherheiten behaftet. Das Wetter ist ein typisches chaotisches Phänomen: Im Jahr 1961 untersuchte der Meteorologe Edward Lorenz ein Modells aus drei gekoppelten Gleichungen, das die Konvektionsbewegungen in der Erdatmosphäre vereinfachend beschreibt. Zu seiner Überraschung stellte er anhand von Computersimulationen fest, dass ein winziger Unterschied in der Anfangsbedingung nach kurzer Zeit zu einem ganz anderen zeitlichen Verlauf führt. Diese Entdeckung hat unsere Vorstellung von der Physik des Wetters bis heute geprägt: Man meint, dass im Prinzip die Entwicklung des Wetters deterministisch verläuft und durch physikalische Gesetze vollständig bestimmt wird. Nur weil unsere Messdaten zwangsläufig mit Unsicherheiten behaftet sind, seien auch Vorhersagen des Wetters mit Unsicherheiten behaftet. Die Vorhersage ist wegen der chaotischen Wetterdynamik umso schwieriger, je größer der Zeitraum ist, über den man die Vorhersage macht.

Wie passt diese wissenschaftliche Sicht auf das Wetter zur biblischen Sicht? Es gibt zahlreiche Bibelstellen, die darauf hinweisen, dass Gott das Wetter macht. Hier zwei Beispiele: „Er spricht zum Schnee: »Falle zur Erde!«, und zum Platzregen, so ist der Platzregen da mit Macht.“ (Hiob 37,6); „Und ihr, Kinder Zions, freut euch und seid fröhlich im Herrn, eurem Gott, der euch gnädigen Regen gibt und euch herabsendet Frühregen und Spätregen wie zuvor.“ (Joel 2,23)

Man kann diese Stellen in dem Sinn auslegen, dass Gott als Schöpfer des Universums und der Naturgesetze auch der Schöpfer des Wettersystems ist. Aufgrund der Position der Erde im Sonnensystem und der Neigung ihrer Achse, der Zusammensetzung ihrer Atmosphäre und der Menge an Wasser läuft der Zyklus von Jahreszeiten und der Wasserkreislauf mit Wolkenbildung und Regen zuverlässig ab, so dass Pflanzen wachsen und Menschen und Tiere mit Nahrung versorgt sind. Schon das erste Kapitel der Bibel führt aus, dass Gott die Erde als Heimat für die Menschen und Tiere eingerichtet hat. Und gemäß der beiden zitierten Stellen ist Gott nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter der gesetzmäßigen Abläufe. Es ist ein Ausdruck von Gottes Treue, dass der Wechsel von „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1. Mose 8,22) bisher kein Ende genommen hat.

Doch die Bibel beschreibt Gott nicht nur als Erhalter des Wettersystems, sondern als jemand, der es aktiv lenkt. Der regelmäßige Regen wird an einigen Stellen im Alten Testament als Segen dargestellt, den Gott zurückhält, wenn sein Volk seine Gebote verlässt. In 5. Mose 11,13+14 steht: „Werdet ihr nun auf meine Gebote hören, die ich euch heute gebiete, dass ihr den Herrn, euren Gott, liebt und ihm dient von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so will ich eurem Lande Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und Spätregen, dass du einsammelst dein Getreide, deinen Wein und dein Öl.“ In den Kapiteln 17 und 18 im ersten Königebuch wird die Geschichte des Propheten Elia und des gottlosen Königs Ahab berichtet. Elia kündigte Ahab im Auftrag Gottes ein langes Ausbleiben des Regens an. Erst im dritten Jahr regnete es wieder, nachdem Elia es ankündigte und dafür betete. Auch die beiden eingangs erwähnten Geschichten bezeugen Gott als Lenker des Wettergeschehens.

Ich kenne Christen, die Gottes Beteiligung am Wettergeschehen darauf einschränken, dass er die naturgesetzlichen Abläufe aufrechterhält. Und ich kenne andere Christen, die vom „Eingreifen“ Gottes in das Wettergeschehen ausgehen, bei denen der „natürliche“ Ablauf der Dinge umgelenkt wird. Mir scheinen beide Sichtweisen nicht angemessen, denn beide gehen davon aus, dass das Wettersystem ein kausal geschlossenes System ist, für das die Physik eindeutig vorgibt, wie es sich entwickeln wird. Die einen meinen, Gott überlasse das Wettersystem diesem physikalisch vorgegebenen Verlauf; die anderen meinen, Gott ändere den Verlauf. Im Gegensatz dazu verweisen manche Autoren auf die empfindliche Abhängigkeit der zeitlichen Entwicklung eines chaotischen Systems von den Anfangsbedingungen und von allerkleinsten Einflüssen. Das Fachgebiet der Chaoskontrolle nutzt diese Empfindlichkeit aus, um ein chaotisches System durch eine Serie von winzigen Stubsern auf eine gewünschte Bahn zu bringen. Diese Stubser können im Prinzip so klein gemacht werden, dass man sie nicht nachweisen kann. Wenn Gott auf diese Weise das Wetter beeinflussen würde, könnte man das also niemals empirisch entdecken.

Doch selbst mit dieser dritten Sicht kann ich mich nicht anfreunden, denn auch sie ist geprägt von der Idee, dass der Verlauf des Wetters von physikalischen Gleichungen, ähnlich denen von Lorenz (nur deutlich komplizierter), beschrieben wird. Wenn es so wäre, würden diese Gleichungen im Prinzip die Statistik der verschiedenen Wettereignisse vorgeben, z.B. wie oft es wo im Durchschnitt regnet. Wenn Gottes winzige Eingriffe grundsätzlich nicht nachweisbar sein sollten, müsste er diese Eingriffe so machen, dass sie zur durch die Gleichungen gegebenen Statistik passen.

Mir scheint plausibler, dass es weder diese Gleichungen, noch diese Statistik in einem absoluten Sinn gibt. Freilich verwenden wir erfolgreich physikalische Gleichungen, um das Wetter zu beschreiben, doch sie sind nur eine Näherung und keine exakte Beschreibung. Ebenso ist die durch die Gleichungen implizierte Statistik nur eine Näherung, die über einen begrenzen Zeitraum zutrifft und die seltene große Abweichungen (sogenannte Extremereignisse) nicht ausschließen kann. Die Form der Gleichungen und die in ihnen auftretenden Parameter hängen von einer Vielfalt äußerer Einflüsse ab, die sich laufend ändern: Ein Vulkan bricht aus; ein Wald wird abgeholzt; eine Stadt wird grüner gemacht; das Verkehrsaufkommen wird größer; Gärten werden bewässert; Biber stauen einen Bach auf; eine Fabrik leitet warmes Abwasser in einen Fluss; eine Pandemie reduziert den Flugverkehr; etc. Der gesamte Kontext, in dem sich das Wetter abspielt, ist also nie zweimal exakt derselbe. Er ist uns auch nie vollständig bekannt. Zudem ist er nicht rein physikalisch. Ich habe einige biologische und einige menschliche Einflüsse auf das Wetter aufgezählt. Bei menschlichen Einflüssen spielen Entscheidungen eine wichtige Rolle, also nichtmaterielle, mentale Prozesse. Das Wetter ist also Teil eines großen Ganzen, das die gesamte, die Physik übersteigende, Wirklichkeit umfasst, zu der auch das Biologische und das Mentale gehören. Von ihr wird es auf vielfältige Weise beeinflusst. Dieses große Ganze wiederum wird von Gott getragen, und er wirkt in allem Geschehen, um seine Ziele zu verwirklichen. Wie das im Detail geschieht, übersteigt vielleicht für immer unsere Erkenntnismöglichkeiten. Im Augenblick ist es mir genug zu erkennen, dass die Physik Gottes Wirken nicht verbietet, weil sie kausal offen ist und von dem nichtphysikalischen Teil der Wirklichkeit auf vielfältige Weise abhängt.

Hinweise:

Ein Blogeintrag zu verwandten Fragen ist „Lassen die Naturgesetze Raum für Gottes Wirken?

Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.

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