War Gionardo Bruno ein Märtyrer für die Wissenschaft?

Einige halten Gionardo Bruno (1548-1600) für den ersten Märtyrer der modernen Naturwissenschaft. Er vertrat viele Ideen, die der Lehre der Kirche entgegenstanden. Darunter war nicht nur die Theorie, dass die Planeten um die Sonne kreisen, sondern er spekulierte sogar darüber, dass das Universum unendlich groß ist und dass die Sterne Sonnen sind, die ebenfalls von Planeten umkreist werden. Auf anderen Planeten könne es ebenfalls Leben geben. Die christlichen Lehren von der Dreifaltigkeit Gottes und der Jungfrauengeburt Jesu lehnte Gionardo Bruno ab. Er hielt Jesus für einen cleveren Magier und nicht für Gottes Sohn. 

Bruno war ein Dominikanermönch und geweihter Priester, der aus der Umgebung von Neapel stammte. Er fiel schon früh durch Zweifel an der Lehre der Kirche auf. Im Jahr 1576 trat er schließlich aus dem Orden aus und verbrachte viele Jahre im Ausland. Im Jahr 1592 kehrte er nach Italien zurück und wurde auf einer Reise nach Rom von der Inquisition verhaftet und acht Jahre später als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Durch die Art und Weise, wie Brunos Schicksal oft erzählt wird, wird der Eindruck erweckt, als ginge es um einen Konflikt zwischen der Autorität der Kirche und der Freiheit des wissenschaftlichen Denkens. Man meint, eine starre dogmatische Haltung der Kirche sei mit kühnen, vorausschauenden Spekulationen der Naturphilosophie kollidiert.

Doch die tatsächliche Geschichte ist anders. In den Unterlagen des damaligen Prozesses wird die kopernikanische Lehre gar nicht erwähnt. Aber über die vielen Welten wurde Bruno mehrfach befragt. Die damalige Kirche war der Überzeugung, dass es Adam, den Sündenfall und die Erlösung durch Christus nur einmal, und zwar auf unserer Erde gab, und dass es deshalb nicht anderswo im Universum auch Leben geben könne. In den inquisitorischen Befragungen über die vielen Welten ging es jedoch nicht um Wissenschaft, sondern um die Weltanschauung von Bruno. Bruno war ein Theologe, der die Kirche auf einem falschen Weg sah. Er wollte sie zurück zu einer vermeintlich besseren Lehre führen. Dies ist die sogenannte hermetische Religion, die während der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert viele Anhänger fand, weil man meinte, dass sie sehr altes und ursprüngliches Wissen bewahrt habe. Man entdeckte diese Religion, als man bei der Suche nach alten griechischen Texten auf Schriften stieß, die einem ägyptischen Weisen und Magier mit dem Namen Hermes Trismegistos zugeschrieben wurden.

Anfang des 17. Jahrhunderts ergab eine sorgfältige Untersuchung, dass diese magischen Werke nicht altägyptischen Ursprungs sind, sondern zwischen den Jahren 100 und 300 entstanden sein müssen. Sie reflektierten die neuplatonischen Strömungen in der späten Phase des antiken Rom. Denn auch im späten römischen Reich dachte man, dass das was alt ist, besonders wichtig ist, weil die frühen Denker einen engeren Kontakt zu den Göttern hatten. Deshalb wurde der Pythagoreismus wieder belebt, und es wurden vor allem die Ägypter verehrt. Man glaubte, die großen griechischen Philosophen hätten sich von ägyptischen Priestern inspirieren lassen. Diese pro-ägyptische Stimmung spiegelt sich in den hermetischen Schriften wider. Die Welt wird in diesen Schriften als lebender Organismus mit einem materiellen Körper und einer immateriellen Weltseele beschrieben. Die Weltseele ist die Mittlerin zwischen dem göttlichen Intellekt und dem materiellen Bereich. Magier können die Kräfte der Weltseele manipulieren, indem sie sich die Einflüsse der Sterne zunutze machen. Jeder Himmelskörper und jedes Tierkreiszeichen wurde mit speziellen Steinen, Metallen, Pflanzen und Tieren in Verbindung gebracht, in denen die jeweiligen Einflüsse konzentriert werden konnten. Durch Manipulation dieser Objekte versuchte der Magier, die gewünschten astralen Einflüsse zu verstärken und die unerwünschten abzuschwächen. Auch über Talismane glaubte man, Macht auf die Sterne auszuüben.

All dies wurde von Magiern der Renaissance aufgegriffen, und dabei wurde oft die hermetische Religion mit dem Christentum vermischt. Die hermetischen Texte als Quelle göttlichen Wissens wurden als Ergänzung zur Heiligen Schrift angesehen. Einer der Texte enthält einen Schöpfungsbericht, der eine auffällige Ähnlichkeit zur biblischen Version aufweist. Deshalb wurde Hermes Trismegistos von den Hermetikern als eine Art ägyptischer Moses angesehen. Schon die Christen im vierten Jahrhundert meinten, in den hermetischen Texten prophetische Anspielungen auf das Christentum zu entdecken. Es war dort vom Sohn Gottes und dem Wort die Rede. Doch der Kirchenvater Augustinus war kritisch. Er warnte vor der Magie in diesen Texten. Die Kritik des Augustinus an der Magie in den hermetischen Texten wurde von der Kirche der Renaissance geteilt, und daher wuchs mit der Zeit in der Kirche der Widerstand gegen die Hermetiker. Dieser Widerstand wurde dadurch noch verstärkt, dass einige Magier nicht nur Magie praktizierten, sondern auch eine radikale religiöse Reform predigten.

Zu ihnen gehörte Gionardo Bruno. Er ging sogar noch weiter und wollte das Christentum nicht nur reformieren, sondern durch die altägyptische Religion des Hermes Trismegistos ersetzen. Er sah sich als Vorläufer einer neuen Gattung von Priester-Magiern, die ein neues Zeitalter einleiten sollten. Die Gründe, weshalb er für das heliozentrische Weltbild eintrat, waren keineswegs wissenschaftlich. Für ihn hatte das kopernikanische Weltbild eine magische, religiöse Bedeutung. Bruno meinte, Kopernikus hätte die wahre Bedeutung seiner Entdeckung nicht erkannt. Für Bruno gab es einen Bezug zwischen dem kopernikanischen Weltbild und der Lehre der Pythagoreer, denn schon bei den alten Griechen war die Auffassung zu finden, dass die Erde nicht stillsteht, sondern sich bewegt. Zusammen mit den anderen Planeten und der Sonne bewegte sich die Erde nach der Lehre der Pythagoreer um ein zentrales Feuer. Vermutlich war diese Auffassung weniger von der Beobachtung geleitet, als durch mystische und religiöse Überlegungen. Gionardo Bruno teilte noch weitere Auffassungen der Pythagoreer, wie zum Beispiel den Glauben an die Seelenwanderung.

Brunos Sprung von Kopernikus zu unendlich vielen Welten war ebenfalls durch die Hermetik motiviert. In der magischen Weltanschauung von Bruno waren die Planeten belebte Wesen, die sich gemäß ihrem Willen durch das All bewegen. Die Idee unzähliger Welten wurde nicht erst von Bruno aufgebracht; sie findet sich schon bei Cusanus (1401-1464) und bei Lukrez (1. Jh. v. Chr). Brunos Philosophie ist also synkretistisch und bedient sich an vielen Philosophien und Büchern. Er hat sich weit entfernt von den gemäßigten, dem Christentum näherstehenden Interpretationen des Hermetismus.

Bruno glaubte, er könne sein radikales und im Grunde antichristliches Reformprogramm aus dem Herzen des Katholizismus heraus entwickeln. 1592 reiste er nach Italien, weil er den Papst von seinen Ideen überzeugen wollte. Doch er landete im Kerker der Inquisition, wo er acht Jahre verbrachte und immer wieder befragt und zum Widerruf aufgefordert wurde. Wie eingangs erwähnt, wurde Gionardo Bruno für eine ganze Reihe von Häresien verurteilt, und nicht primär für die Lehre von den vielen Welten. Seine ‚Verbrechen‘ waren klar religiös, egal was seine Ansichten über den physikalischen Kosmos waren. Ein Märtyrer für die moderne Naturwissenschaft ist Bruno also nicht.

Wir können das Leben und die Hinrichtung Brunos nicht mit unserem modernen, säkularen Denken verstehen, sondern müssen uns in die damalige Zeit hineinversetzen, in der Philosophie und Theologie untrennbar miteinander verflochten waren und Häresien streng bekämpft wurden. Eine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen ist zweifellos grausam, doch damals war ein solches und auch ein noch viel schlimmeres Vorgehen leider gang und gäbe.

Dies rechtfertigt das Vorgehen der Kirche natürlich nicht, macht es aber aus der damaligen Zeit heraus nachvollziehbar. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die wir heute in unseren freiheitlichen Demokratien haben, ist ein hohes Gut, das hoffentlich noch lange bestehen bleibt.

Quellen: (i) Das Buch „Die Hosen des Pythagoras“ von Margaret Wertheim, das schon die Grundlage des vorletzten Blogbeitrags war. (ii) Das Buch „Gionardo Bruno and the Hermetic Tradition“ von Frances Yates. (iii) Das Kapitel „That Gionardo Bruno was the First Martyr of Modern Science“ von Jole Shackelford aus dem Buch „Galilei Goes to Jail and Other Myths About Science and Religion“, Hg. R. Numbers.

Thematisch verwandt ist der Blogbeitrag „Der Mythos vom historischen Konflikt zwischen Wissenschaft und Kirche“.

Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.

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