When Israel Was in Egypt's Land ...

Während die Christen die Karwoche begehen, feiern die Juden in der kommenden Woche das Pessach-Fest (auch Passah genannt). Als ich vor 20 Jahren eine Zeit lang in Israel lebte, war es für mich ein bewegendes Erlebnis, dieses uralte Fest mitzufeiern. Im Vergleich mit unseren christlichen Festen geht das Pesach-Fest auf eine erheblich ältere Überlieferung zurück. Es bezieht sich auf die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten, die je nach Lehrmeinung auf das 15. oder 13. Jahrhundert v. Chr. datiert wird. Wie im Blogbeitrag vom 31.10.2020 erwähnt, wird die Historizität des Exodus und des Bundesschlusses am Sinai oft angezweifelt. Doch es scheint mir sehr unplausibel, dass ein so zentrales Ereignis, das im Alten Testament an vielen Stellen erwähnt wird und von dem es heißt, dass es von Generation zu Generation weitererzählt werden soll, weitgehend erfunden sein soll.

Ein Buch, das ich zu diesem Thema sehr hilfreich finde, ist „On the Reliability of the Old Testament“ (Eerdmans 2003) des Ägyptologen Kenneth Kitchen. Er hat viele Jahre an der Universität Liverpool als Professor für Ägyptologie geforscht und gelehrt. Er argumentiert in seinem Buch, dass die Geschichte Israels, die die Bibel von Abraham bis nach dem babylonischen Exil erzählt, jeweils die Bräuche, Umstände und Besonderheiten der betreffenden Zeit widerspiegelt und daher nicht eine spätere Schöpfung sein kann. Seit der Zeit der Könige gibt es auch vermehrt außerbiblische Quellen, die die biblischen Personen erwähnen. Im Folgenden möchte ich einiges von dem weitergeben, was Kitchen über die Sklaverei Israels in Ägypten, den Exodus und den Bundesschluss am Sinai schreibt:

Die Geschichte vom Exodus beginnt damit, dass die Israeliten, die damals im östlichen Nildelta wohnten, durch die Ägypter versklavt waren und zur Feldarbeit, zur Herstellung von Ziegeln und zum Bau der Städte Pitom und Ramses eingesetzt wurden, siehe 2. Mose 1, 11-14 und 2. Mose 5, 6-17. Kitchen berichtet, dass die biblische Beschreibung dieser Sklaverei bis ins Detail zu ägyptischen Dokumenten aus der Zeit des Neuen Reichs (1540-1070) passt. Es gab viele Sklaven semitischer Herkunft, die für Feldarbeiten und Bauarbeiten eingesetzt wurden. Man findet Darstellungen der Herstellung von Ziegeln aus Lehm und unter der Verwendung von Stroh, so wie es in 2. Mose 5 beschrieben ist. Den Sklaven wurde ein tägliches Pensum an herzustellenden Ziegeln vorgeschrieben. Auch von ägyptischen Aufsehern mit Stöcken und Sklaven im Rang von Unteraufsehern berichten die ägyptischen Dokumente. Die in 2. Mose 1, 11 erwähnte Stadt Ramses wird von Kitchen ebenso wie von vielen anderen Wissenschaftlern mit der berühmten Residenzstadt Pi-Ramesse identifiziert, die unter dem Pharao Ramses II gebaut wurde. (Damit spricht sich Kitchen für die Datierung des Exodus auf das 13. Jhd. v. Chr. aus.) Die Identifizierung der Stadt Pitom ist schwieriger. Ihr Name steht für das ägyptische Pi-Atum, was „Haus des (Gottes) Atum“ heißt. Es gab mehrere Städte mit Atum-Tempeln, so dass das biblische Pi-Atum eine von ihnen gewesen sein muss. Von den Israeliten und dem Exodus findet man im östlichen Nildelta keine archäologischen Spuren. Kitchen meint, dass dies nicht verwunderlich ist, da sich dort überhaupt keine Dokumente oder Gebäude erhalten haben. Lehm zerfällt dort schnell, und Papyrus verwest dort schnell. Die wenigen zum Bau vorhandenen Steine waren aus südlicheren Gegenden Ägyptens importiert und wurden immer wieder verwendet. Nur ein winziger Bruchteil der Papyri aus dem Nildelta hat überhaupt überlebt.

Der spannendste und bekannteste Teil der Exodus-Geschichte sind die zehn Plagen. Kitchen weist darauf hin, dass die Plagen 1 bis 9 in der dortigen Gegend bekannte Ereignisse sind. Verschiedene Autoren haben Vorschläge dafür gemacht, wie die im biblischen Text geschilderte Häufung dieser Plagen innerhalb kurzer Zeit und ihre Reihenfolge zustande gekommen sein könnte. Kitchen favorisiert hier die Darstellung von Greta Hort, die in zwei Artikeln in der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft in den Jahren 1957 und 1958 die ersten sechs Plagen auf ein außergewöhnliches Nilhochwasser und seine Folgen zurückführt. Das Nilhochwasser brachte demnach viel rote Erde und rote Algen mit sich. Das Sterben von Fischen, das Fliehen der Frösche aus dem Wasser und das Entstehen einer Stechmückenplage resultieren daraus ebenso wie die Krankheitserreger, die in der Folge Tiere und Menschen befielen. Die Verschonung des Gebietes Gosen, in dem die Israeliten wohnten, erklärt sie dadurch, dass Gosen weiter entfernt vom Haupttal des Nils war. Der Hagel, der Wind, der die Heuschrecken bringt, und der Sandsturm, der durch den vielen feinen Staub der Roterde eine schlimmere Dunkelheit als sonst macht, sind Erscheinungen, die im Frühjahr dort auftreten können. In einem anderen Artikel habe ich den Vorschlag gefunden, diese drei Plagen genauso wie das außergewöhnliche Hochwasser auf besondere klimatische Bedingungen in dem betreffenden Jahr zurückzuführen. Doch da Kitchen als Ägyptologe kein Fachmann zu Wetterphänomenen und Krankheiten ist und ich mich auch nicht imstande sehe, die verschiedenen Erklärungen der zehn Plagen zu bewerten, möchte ich hierzu keine deutliche Meinung äußern. Der Gedanke, dass Gott für uns nachvollziehbare Naturereignisse benutzt hat, um die Befreiung seines Volkes vorzubereiten, ist mir allerdings sympatisch.

Später in dem betreffenden Buchkapitel ist Kitchen dann wieder in seinem Fachgebiet, wenn er über den Bundesschluss am Sinai und den Bau der Stiftshütte schreibt, die sich nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste ereignet haben. Die Stiftshütte war nach der biblischen Beschreibung (2. Mose 25-31) ein tragbares Heiligtum, das nach Bedarf auf- und abgebaut werden konnte. Sie bestand aus goldbedeckten Akazienholzbrettern, die durch waagrechte Stangen zusammengehalten wurden und eine rechteckige Fläche von ca. 5 mal 15 Metern abgrenzten. Darüber wurden reich bestickte Vorhänge gebreitet, die ein Zelt bildeten. Die äußeren Schichten des Zeltes waren aus Tierfellen. Lange Zeit war die Stiftshütte in der Vorstellung bibelkritischer Forscher eine Erfindung jüdischer Priester aus der exilischen oder nachexilischen Zeit. Dem hält Kitchen entgegen, dass zerlegbare Tabernakel ähnlich der Stiftshütte seit dem 3. Jahrtausend in Ägypten und dem alten Orient häufig zu finden waren. In verschiedenen Grabstätten fand man Abbildungen und auch diverse Überreste von „weltlichen“ und „geistlichen“ Tabernakeln, die ebenfalls aus miteinander verbundenen vergoldeten Brettern bestanden, die mit einem Zelt überdacht waren. In Texten aus der Zeit um 1800 v. Chr. aus dem mesopotamischen Stadtstaat Mari findet man ebenfalls die Erwähnung von solchen zeltbedeckten hölzernen Gestellen, die für königliche und rituelle Zwecke verwendet wurden. Zeitlich und räumlich noch näher an der biblischen Stiftshütte sind religiöse Zelte in Ugarit, die als Opferstätten verwendet wurden, und das Kriegszelt von Ramses II für die Schlacht bei Kadesch, das verbüffend ähnlich aussah wie die Stiftshütte. Es hatte sogar einen inneren Raum nur für den König, der in manchen Darstellungen geflügelte Figuren enthielt, die einander zugewandt waren und mit ihren Flügeln den königlichen Namen überschatteten, ähnlich wie die Cherubim im Allerheiligsten der Stiftshütte die Bundeslade. Kitchen weist darauf hin, dass im Gegensatz dazu die assyrischen Zeltlager des ersten Jahrtausends v. Chr. rund und nicht mehr rechteckig waren. Wäre die Stiftshütte im ersten Jahrtausend „erfunden“ worden, hätte sie rund sein müssen.…

Und als letztes Beispiel erwähnt Kitchen ein bei Ausgrabungen bei den ehemaligen Kupferminen von Timna gefundenes midianitisches Tabernakel, das als Kultstätte diente und wie die Stiftshütte rechteckige Gestalt hatte und mit mehrfarbigen Stoffdecken überspannt war. Er fragt: „Wenn die Midianiter im Jahr 1130 ihren Gott in einem bunten Stoffzelt verehren konnten, warum sollten das nicht auch die Hebräer können?“

Die Parallelen zu Bräuchen der damaligen Zeit geht noch weiter: Im innersten Raum der Stiftshütte stand die Bundeslade, die ein vergoldeter Kasten auf vier Füßen war, mit vier Ringen für Tragestäbe. Dies ist identisch zu einer berühmten Box aus Tutenchamuns Grab. Auch das Aufstellen eines leeren Heiligen Throns als Zeichen für eine gegenwärtige, aber unsichtbare Gottheit, war schon seit Langem Brauch in Ägypten. Silberne Trompeten, mit denen das Volk nach dem biblischen Bericht (4. Mose 10) für Feste, zum Zug in den Krieg oder für sonstige Anlässe versammelt wurde, gab es auch in Tutenchamuns Grab.

Nicht nur die Stiftshütte selbst, sondern auch die Beschreibung des Bauens passt in die damalige Zeit: Die Gliederung des Textes entspricht derjenigen anderer Bautexte des Alten Orients: Zuerst kommt der göttliche Befehl zum Bauen, dann die Weitergabe des Befehls an das Volk, die Vorbereitungen zum Bau und das eigentliche Bauen. Danach die Einweihung, der Segen und eine Antwort der Gottheit.

Die mehrtägigen Einweihungsriten der Stiftshütte, von denen das 2. Buch Mose berichtet, gab es in ähnlicher Form im 13. Jhd. v. Chr. auch anderswo, z.B. in Emar und bei den Hethitern. Die täglichen Opfer der Israeliten finden ihre Parallelen in Ugarit.

Der Bericht über den Bau der Stiftshütte ist eingebettet in den großen Textabschnitt 2. Mose 20 bis 3. Mose 26, der den Bund beschreibt, den Gott mit seinem Volk schließt. Dieser Text ist in seinem Stil ähnlich wie andere Bundesschlussdokumente (oder Verträge) der damaligen Zeit. Kitchen kann den Bund am Sinai aufgrund dieses Vergleichs mit diesen anderen Texten recht genau datieren: Er schreibt, dass uns aus der Zeit von 2500 bis 650 v. Chr. zwischen 80 und 90 Bundesschlussdokumenten aus dem Alten Orient erhalten sind. Diese lassen sich in sechs verschiedene zeitliche Phasen einordnen. Für jede dieser Phasen ist der Aufbau und die Reihenfolge des Textes charakteristisch. Der Sinaitische Bund passt genau in die Phase 5, also die Zeit von 1400 bis 1200. Die uns vorliegenden Bündnistexte dieser Zeit stammen von den Hethitern. Der Aufbau eines hethitischen Vasallenvertrags entspricht dem des biblischen Bundes: Titel; Historischer Prolog; Vertragsbestimmungen; Bestimmung eines Aufbewahrungsortes und öffentliche Lesung; Anrufen von Zeugen; Flüche und Segenssprüche. Nur die Reihenfolge von Segen und Fluch ist gegenüber dem hethitischen Dokument vertauscht. Kitchen meint, dass Mose aufgrund seiner Erziehung am Hof des Pharao mit Staatsverträgen zwischen Hethitern und Ägyptern in Kontakt kam und daher diese Art, einen Bund zu formulieren, kannte. Texte aus noch späterer Zeit waren in ihrem Aufbau wieder anders.

Wenn man dies alles zusammennimmt, ist es echt beeindruckend, wie gut die biblischen Berichte von der Sklaverei in Ägypten, dem Bau der Stiftshütte und der Bundeslade, den Opferriten und dem Bundestext in das 13. Jahrhundert v. Chr. passen! Man spürt Kitchen den Frust über den biblischen Minimalismus derjenigen Bibelwissenschaftler ab, die diesen biblischen Geschichten wenig Glaubwürdigkeit zugestehen. Leider verfällt er dabei immer wieder in einen polemischen Ton. Das ist schade, weil er dadurch weniger seriös und objektiv wirkt. Aber abgesehen davon habe ich von dem Buch sehr viel Gewinn gehabt!

Literaturhinweis: Es gibt das Buch von Kitchen auch in deutscher Übersetzung. Sein Titel lautet „Das Alte Testament und der Vordere Orient“ (Brunnen Verlag 2012).

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