Licht im Dunkeln: Schwarze Löcher und die Grenzen der Physik

Mir scheint, sie stehen wie kein anderes wissenschaftliches Phänomen für menschliche Grundängste. Sie sind eines der großen Mysterien in den Weiten des Weltraums. In der Astrophysik markieren sie das ultimative Ende und sind der Inbegriff gnadenloser Zerstörungsmaschinen. Menschen spüren dies intuitiv. Schwarze Löcher symbolisieren in unserer Vorstellungskraft das alles verschlingende Nichts, eine Grenze, an der jegliches Leben und Verstehen aufhört -- den Blick in den Höllenschlund eben. Schwarze Löcher erzählen von einer Welt, die völlig anders ist als unsere. Licht bewegt sich dort nicht geradeaus, sondern im Kreis. Schaue ich nach vorne, sehe ich meinen Rücken. Die Zeit scheint für den einen beinahe stillzustehen, während sie für den anderen weiterfließt. Nahezu mit Lichtgeschwindigkeit wirbelt Gas umher und kann apokalyptische Temperaturen erreichen, bei denen alle Materie in ihre Einzelteile zerlegt wird. Von Molekülen und Atomkernen bleibt nur noch eine glühendheiße Wolke aus Protonen und Elektronen übrig -- Plasma eben. In ein Schwarzes Loch könnte ich hineinfallen, dort im Prinzip auch überleben und sogar wissenschaftliche Messungen vornehmen -- aber ich kann niemandem jemals erzählen, was ich dort sehe. Keine Informationen verlassen ein Schwarzes Loch, nicht einmal Lichtwellen. Schwarze Löcher bringen uns dem Jenseits näher.

So beschreibt der Physiker Heino Falcke in seinem vor Kurzem erschienenen Buch Licht im Dunkeln Schwarze Löcher. Ja, Schwarze Löcher sind faszinierende und rätselhafte Objekte, und in letzter Zeit machten sie besonders Schlagzeilen: Im April vergangenen Jahres wurde zum ersten Mal ein Bild eines Schwarzen Lochs (oder genauer: der es umgebenden strahlenden Materie) veröffentlicht, das um die Welt ging und die Menschen begeisterte. Dieses Bild wurde nach jahrelanger Vorarbeit durch ein großes Team von Wissenschaftlern an mehreren Radioteleskopen an weit voneinander entfernten Punkten auf der Erde gleichzeitig aufgenommen. Gemeinsam wirken die verschiedenen Teleskope wie ein erdgroßes Teleskop, dem der Initiator des Projekts, Heino Falcke, den Namen Event-Horizon-Teleskop gegeben hat. Es dauerte mehrere Monate, bis die vielen Millionen Gigabyte Daten ausgewertet und in ein Bild umgerechnet worden waren. Dieser bildliche Nachweis eines Schwarzen Lochs führte wohl dazu, dass im Oktober dieses Jahres der Nobelpreis für Physik an drei Personen vergeben wurde, die Schwarze Löcher erforscht haben. Das Team des Event-Horizon-Teleskops ging diesmal noch leer aus... (Aber es bekam schon andere Preise.) Der Nobelpreis ging zur einen Hälfte an den inzwischen fast 90jährigen mathematischen Physiker Roger Penrose, der in den 1960er Jahren mit Hilfe von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie berechnete, dass beim Kollaps sehr massereicher Sterne als stabiles Endergebnis ein Schwarzes Loch resultiert. Die andere Hälfte ging an die Astronomin Andrea Ghez und den Astrophysiker Reinhard Genzel für den Nachweis, dass sich im Zentrum unserer Milchstraße ein supermassereiches Schwarzes Loch von etwa 4,3 Millionen Sonnenmassen befindet. Sie zeigten dies, indem sie die Bahnen von Sternen in der Nähe des Schwarzen Lochs verfolgten. Aus diesen Bahnen konnten man die Stärke des Gravitationsfelds nahe dem Zentrum unserer Milchstraße ermitteln und daraus die im Zentrum konzentrierte Masse. Ein so starkes Gravitationsfeld kann nur von einem Schwarzen Loch kommen.

Schwarze Löcher kannte man zunächst nur als mathematische Lösungen von Einsteins Gleichungen, aber man bezweifelte, dass sie als reale Objekte tatsächlich existieren. Ein Objekt, in dem alle Masse in einem Punkt konzentriert ist und das alle Materie und alles Licht, das sich ihm zu sehr nähert, unwiderruflich verschlingt, schien dubios. Einstein schrieb sogar einen Artikel, in dem er argumentierte, dass Schwarze Löcher gar nicht entstehen können. Doch die oben erwähnte Rechnung von Penrose widerlegte ihn. Der Physiker Karl Schwarzschild hatte schon im Jahr 1915 den später nach ihm benannten „Schwarzschild-Radius“ berechnet (man nennt ihn auch Ereignishorizont, auf Englisch „Event Horizon“), der die Entfernung vom Zentrum des Schwarzen Lochs angibt, innerhalb derer es kein Entrinnen mehr gibt. Daher ist alles innerhalb des Schwarzschildradius für Beobachter, die außerhalb des Schwarzen Lochs sind, nicht beobachtbar. Was wir aber sehen können, ist die nahe des Schwarzschildradius um das Loch herumwirbelnde Materie, auf die durch die starke Gravitationskraft so hohe Energien übertragen werden, dass sie Strahlung aussendet. Mit dem Event-Horizon-Teleskop wollte man die Strahlung aus der Umgebung des Schwarzen Lochs messen. Damit konnte man die Existenz von Schwarzen Löchern noch besser belegen, als es bisherige Messungen getan haben.

Falcke erzählt in seinem Buch auf spannende und unterhaltsame Weise die Entdeckungsgeschichte des Universums und besonders die der Schwarzen Löcher. Schwarze Löcher entstehen, wenn ein besonders massereicher Stern am Ende seines Lebens angekommen ist, weil ihm der Brennstoff ausgeht. Solche ausgebrannten Sterne fallen durch ihr eigenes Gewicht immer weiter zusammen, und nichts kann diesen Kollaps stoppen. Am Ende ist die Materie praktisch nur noch in einem Punkt konzentriert: ein Schwarzes Loch ist entstanden. Da ein Teil der Materie des Sterns bei dem Kollaps nach außen weggeschleudert wird, ist dieses Ereignis als Supernova-Explosion sichtbar. Auch weniger massive Sterne können Supernoveaexplosionen erleben, aber ihr Endergebnis ist nicht ein Schwarzes Loch, sondern ein Neutronenstern. Die Materie wird beim Kollaps immerhin noch so stark verdichtet, dass die Elektronen in die Atomkerne gedrückt werden, so dass eine Art riesiger Atomkern aus lauter Neutronen entsteht. Ein Kubikzentimeter wiegt nahezu eine Milliarde Tonnen. Neutronensterne entstehen aus Sternen, die 2 bis 25 Sonnenmassen haben. Unsere Sonne ist nicht massiv genug, um später einmal ein Neutronenstern oder gar ein schwarzes Loch zu werden. Wenn sie in einigen Milliarden Jahren ausgebrannt ist, wird sie nach dem Abstoßen der äußeren Schichten ein weißer Zwerg werden, der überwiegend aus Kohlenstoff besteht. Die Dichte eines weißen Zwergs ist viel kleiner als die eines Neutronensterns, doch immer noch so groß, dass ein Kubikzentimeter seiner Materie ungefähr eine Tonne wiegt. Die Elektronen der einzelnen Atome werden durch den hohen Druck von den Atomkernen getrennt und bilden einen Elektronensee um die Atomkerne herum, ähnlich wie die Leitungselektronen in einem Metall.

Doch zurück zu den Schwarzen Löchern. Es war zunächst ein Rätsel, wie man sie nachweisen soll, wenn sie kein Licht ausstrahlen können. Wir können also ein Schwarzes Loch nicht direkt sehen, aber das, was sich in seiner Umgebung abspielt. Und das ist verräterisch genug. Die ersten Kandidaten für Schwarze Löcher waren sogenannte „quasistellare Objekte“ oder Quasare, die man so nannte, weil man nicht wusste, was sie waren. Sie sind ungefähr zehn Milliarden Lichtjahre von uns entfernt und leuchten mehr als 100-mal stärker als eine gesamte Galaxie. Man erkannte, dass das Leuchten von einem kleinen Raumbereich kommen muss, denn der gesamte Quasar flackert innerhalb weniger Wochen und Monate. Man wusste nur eine mögliche Erklärung für so ein starkes und räumlich so konzentriertes Leuchten: Es muss von einem massiven Schwarzen Loch kommen, das Materie aus seiner Umgebung verschlingt. Bei Annäherung an den Ereignishorizont wird Materie durch die Schwerkraft so stark beschleunigt und auseinandergerissen, dass sie extrem stark aufgeheizt wird und entsprechend viel Strahlung aussendet, so wie im obigen Zitat aus Falckes Buch beschrieben. Außerdem werden durch starke Magnetfelder riesige glühende Strahlen vom Ereignishorizont des Schwarzen Lochs weggelenkt und ins All geschossen, sogenannte Jets. Man erkannte, dass Quasare im Zentrum von Galaxien liegen und folgerte, dass vermutlich unsere Galaxie auch ein Schwarzes Loch in ihrem Zentrum hat. Als das Universum erst wenige Milliarden Jahre alt war, gab es in der Umgebung eines solchen zentralen schwarzen Lochs noch viel Gas, das hineingezogen werden und dabei das helle Leuchten der Quasare erzeugen konnte. Deshalb sehen wir Quasare nur in großer Entfernung, also in jungen Galaxien. Heute haben die zentralen Schwarzen Löcher der Galaxien nicht mehr so viel Nahrung, aber natürlich haben auch sie eine Umgebung aus leuchtender Materie, und auch sie stoßen Jets aus. An dieser Stelle setzt die Forschung von Heino Falcke ein.

Seit seiner Diplomarbeit verfolgt er das große Ziel zu verstehen, was sich in der Umgebung Schwarzer Löcher abspielt. Die Idee, mit einem die ganze Erde überspannenden Satz von Teleskopen ein Bild von einem Schwarzen Loch zu machen, kam ihm vor über 20 Jahren. Zunächst berechnete er mit Computersimulationen, wie so ein Bild aussehen könnte. Der Weg zur tatsächlichen Beobachtung war sehr lang und steinig. Falcke erzählt von den Mühen, Millionen von Euro für die Messungen einzuwerben und die vielen benötigten Kollaborationspartner zu gewinnen. Er nimmt die Leser anschließend mit zum Radioteleskop in Chile, wo er mit seinem Team in nächtelanger harter Arbeit mit nur wenig Schlaf die Daten sammelte. Gleichzeitig sammelten andere Teams an anderen Teleskopen auf der Erde Daten zum selben Schwarzen Loch, darunter auch in Antarktika. Daran schlossen sich viele Monate gewissenhafter, mit vielen Kontrollen durchgeführter Auswertungen an. Zunächst musste überprüft werden, ob die verschiedenen Teleskope die selbe Radiowellenstrahlung eingefangen haben. Dann wurde das Bild von mehreren Gruppen unabhängig voneinander berechnet. Erst nach dieser Berechnung wurden die Bilder verglichen, um Fehler und Voreingenommenheit bestmöglich auszuschließen. Die Bilder stimmten sehr gut überein. Dann wurde ein Termin für die Bekanntgabe des Bildes festgelegt: der 10.4.2019. Bei der Beschreibung der großen, an mehreren Orten der Erde gleichzeitig stattfindenden Pressekonferenz spürt man die Spannung und Aufregung mit. Dieses erste Bild zeigt ein mit sechseinhalb Milliarden Sonnenmassen besonders massives Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie, die den fantasievollen Namen M87 trägt. Unwillkürlich träumt man mit dem Forscherteam davon, demnächst weitere Bilder Schwarzer Löcher zu messen, insbesondere vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße...

Im letzten Teil seines Buchs geht Falcke auf die Frage nach Gott und den Grenzen der Physik ein. In diesem Teil des Buchs steht das eingangs aufgeführte Zitat. Dass wir niemals sehen können, was sich im Inneren der Schwarzen Löcher abspielt, ist für Falcke ein Bild dafür, dass unser Erkennen grundsätzliche Grenzen hat. Er spricht die Fragen nach Jenseits, Tod und Unsterblichkeit an. Dabei bekennt er sich offen zu seinem christlichen Glauben, der auch an früheren Stellen des Buchs immer wieder durchscheint. Falcke ist Prädikant in seiner evangelischen Kirchengemeinde und wurde manchen Christen durch ein Interview bei ProChrist im Jahr 2018 bekannt. So wie ihn gibt es eine Reihe weiterer Physikprofessoren, die überzeugte Christen sind. Warum auch nicht? Wissenschaft und Glaube ergänzen einander wunderbar. Gegen Ende des Buchs schreibt Heino Falcke: Wenn uns die Wissenschaft des Weltalls gezeigt hat, wie klein wir sind, dann sagt Gott uns, wie wertvoll wir sind.

Diesen letzten Satz benutze ich nun als Brücke, Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest zu wünschen. Möge die Frohe Botschaft, dass Gottes Licht durch Jesus in unsere Dunkelheit kam, uns allen in diesen Tagen groß werden!

Literaturhinweis: Der volle Titel des Buchs von Heino Falcke lautet: „Licht im Dunkeln: Schwarze Löcher, das Universum und wir“. Sein Mitautor ist der Wissenschaftsjournalist Jörg Römer. Das Buch erschien 2020 im Verlag Klett-Cotta. In meinen Blogeintrag vom 24.10. Am Anfang war der Urknall erhalten Sie manches Hintergrundwissen, das mein obiger Text voraussetzt.


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