Ein frommer Saurierforscher

 Friedrich Freiherr von Huene, seit 1898 Professor für Paläontologie in Tübingen, war zu seiner Zeit der führende Experte für fossile Reptilien und Amphibien in Europa und war weltweit insbesondere als Fachmann für Dinosaurier bekannt (so der Wikipedia-Eintrag zu seiner Person). Gleichzeitig war er ein gläubiger Christ, der die ganze Bibel als Gottes Wort betrachtete. Im Jahr 1937 schrieb er ein Büchlein mit dem Titel „Weg und Werk Gottes in Natur und Bibel“, in dem er seinen Mitchristen aufzeigt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Erdgeschichte und der Entwicklung des Lebens und des Menschen „Tatsachen“ sind, und erläutert, wie sie mit der biblischen Schöpfungs- und Heilsgeschichte zusammenpassen. Dieses Büchlein konnte ich gebraucht über das Internet bestellen und möchte einige Gedanken daraus weitergeben.

Das Vorwort schrieb Huenes Kollege Karl Heim von der Fakultät für evangelische Theologie. Dort heißt es:

In der Gemeinde der Gläubigen sind heute viele von der Frage bewegt: Wie verhalten sich die beiden Bücher zueinander, in denen Gott zu uns redet; das Buch der Offenbarung, in dem uns Gott in großen Linien seinen Heilsplan aufzeigt vom Fall der Menschheit an bis zur Sendung des Versöhners und bis zur Weltvollendung, und das Buch der Schöpfung, das vor uns aufgeschlagen ist, wenn wir z. B. an einer Bruchstelle in unsern heimatlichen Bergen die Gesteinsschichten übereinandergelagert sehen, in denen, wie in einer Urkunde, die Formationen der vergangenen Erdgeschichte eingezeichnet sind? Manche meinen, es bestehen unlösbare Widerspriche zwischen diesen beiden Büchern, in denen Gott redet, die Zeitrechnung der Bibel sei z. B. unvereinbar mit den unermeßlichen Zeiträumen der Erdgeschichte, die die Naturforscher annehmen. Andere suchen von der Bibel aus, so wie sie diese verstehen, das Weltbild, der „ungläubigen" heutigen Naturwissenschaft zu widerlegen oder zurechtzurücken, aber es fehlt ihnen dazu die naturwissenschaftliche Ausrüstung, und sie finden bei diesem „Opfer des Verstandes" keine innere Ruhe.
Darum wird die ganze Gemeinde der Bibelgläubigen dankbar dafür sein, daß hier ein Mann zu dieser Frage das Wort ergreift, der auf dem Boden der Bibel steht, und der zugleich als einer der führenden Paläontologen und Saurier-Kenner durch Ausgrabungen in Deutschland und in überseeischen Ländern an der großen Aufgabe mitgearbeitet hat, die Urkunde der Schöpfungsgeschichte zu entziffern, die in der Erdrinde enthalten ist, und uns die Überreste vergangener Schöpfungsperioden zugänglich zu machen.
Möge diese Schrift dazu helfen, daß Gott uns die Augen öffnen kann für die „Wunder an seinem Gesetz“, und daß uns das Ohr aufgeschlossen werde für das, was uns die Schöpfung Gottes über den Weltplan des Schöpfers erzählt. „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.“

Huene erklärt seiner Leserschaft zunächst, wie Wissenschaft funktioniert (S.16ff):

[…] Jede Wissenschaft, auch die Naturwissenschaft, ist echtes Wahrheitssuchen. Der Naturhistoriker braucht seine fünf Sinne. Mit allerlei Instrumenten können diese hebelartig erweiterte Wirkung ausüben. Es können - bildlich gesprochen - ganze Systeme von Sinneshebeln zu sehr weiter Vertiefung der Beobachtung aneinandergekoppelt werden. Dies alles dient zur Erforschung der realen Wirklichkeit oder der materiellen Wahrheit. Der Naturhistoriker hat eine große Achtung vor der Wahrheit; als solcher muß er durchaus ehrlich sein. Gibt er wissentlich Falsches als Beobachtung aus, so ist er, sobald dies festgestellt wird, geächtet und ausgestoßen. Ohne Ehrlichkeit auf dem sachlichen Gebiet und ohne wirkliche Wahrheitsliebe fällt die ganze Naturforschung in sich zusammen. Einzelne Entgleisungen tendenziöser Art (vgl. Häckel in der einen bekannten Angelegenheit) stören das sachliche Gesamtergebnis nicht.
[…] Man kann bestimmt sagen: die Gesamtheit der Forscher gleicht ihre Fehler gegenseitig nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne aus. Daraus geht hervor, daß man zum Gesamtergebnis der Naturforschung ein festes Vertrauen haben darf.
Das Mißtrauen, das vielfach gerade von christlicher Seite gehegt wird, ist sachlich nicht begründet. Verständlich ist es durch vorgekommene absichtliche Entstellungen einzelner auf Grund ihrer Weltanschauung. Das liegt aber nicht an der Naturforschung selbst, sondern an solchen Einzelforschern. Durch diese begreifliche, aber sehr bedauerliche Verwechslung ist die Wissenschaft in Mißachtung gekommen. Hier aber müssen nur die betreffenden Vertreter der Wissenschaft an den Pranger gestellt werden, also Persönlichkeiten, die die Unkenntnis der Menge mißbraucht haben, um richtige Ergebnisse, mit unwissenschaftlichen Folgerungen vermengt, weiteren Kreisen darzubieten. Oder aber es haben Leute von außerhalb der Wissenschaft halbverstandene Dinge in unsachlicher Weise verbreitet. Dies ist besonders viel geschehen und irrtümlich für Ergebnis der Wissenschaft gehalten worden. Man sollte aber auf christlicher Seite lernen, nicht das Sachliche, sondern das Weltanschauliche zu beurteilen. Zu letzterem ist der Christ befähigt, zu ersterem nicht, falls er nicht Fachmann ist. Es sollte darin mehr Unterscheidung geübt werden. [...]

Im Folgenden erklärt Huene die Fülle von Belegen für die tatsächliche wachstümliche Entwicklung der Tierwelt und folgert: Es ist also kein Zweifel, daß die Organismen aus den einfachsten Anfängen allmählich durch die geologischen Zeitperioden hindurch zu dem gewaltig verzweigten Lebensbaum herangewachsen sind, an dessen Gipfel der Mensch steht. Diese Entwicklung versteht Huene nicht als zufällig, sondern als zielstrebig und nach einen einheitlichen Plan gelenkt. Die langen Zeiträume der Erdgeschichte stehen seiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zur Bibel, denn nach Ps. 90, 4 und 2.Pet. 3, 8 sind vor Gott tausend Jahre wie ein Tag. Die geologischen Schichten geben uns Einblicke in Gottes Schöpfungshandeln (S.32):

So schreibt der ewige Gott Geschichte mit den Dokumenten selbst, die im Mantel der Erde geborgen sind. Wir aber dürfen lernen, diese Geschichte zu entziffern. […] Was aber stellt die Niederschrift von Gottes lebendigem Finger für uns dar? Nichts anderes ist sie als der letzte Teil der Schöpfung am fünften und sechsten Schöpfungstage!

Die biblische Formulierung, dass Gott die Tiere aus Erde macht (Gen. 2, 19), bedeutet laut Huene dasselbe wie Gen. 1, 24 („Die Erde bringe hervor lebendiges Getier“), so dass kein Widerspruch zwischen Gottes Schöpfungshandeln und der Entwicklungsgeschichte des Lebens besteht. Das gilt auch für die Erschaffung des Menschen (S.41):

Die Zeit der „Bildung des Menschen aus der Erde“ ist im besonderen die ganze Diluvialzeit. Während dieser langen Zeit (von 800 Jahrtausenden) machte der Mensch noch allerlei Wandlungen durch, die ihn aufwärts führten. […] Die vollkommenste seelische Höhe erreichte der Mensch erst am Schluß dieser Zeit, als Gott ihm den „Odem des Lebens einblies“ (Gen. 2, 7), der ihn fähig machte, sich Gottes Geisteswirkung auf seine Seele zu öffnen.

Mit Adam setzt die Heilsgeschichte ein (S.49):

Gott setzt den Adam ins Paradies. Durch den Sündenfall wurde aber alles anders, als es hätte gehen können. Adam und Eva mussten wieder hinaus in die Welt, und die uns bekannte Geschichte geht weiter. Gott aber hatte den Menschen nun einmal an die Hand genommen und ließ ihn nicht wieder los. Ein paar Andeutungen auch in der Heiligen Schrift spielen auf das Vorhandensein der anderen („para-adamitischen“) Menschen an. Die Tatsache, dass Kain Feldfrüchte, d.h. Kulturpflanzen hatte und daß Abel Haustiere besaß, setzt deren nur in langer Zeit zu erreichende Domenstizierung (Zähmung) voraus (Gen.4, 2). Es war also im Neolithikum. Auch, daß Kain sich von Gott ein Zeichen erbat, damit er im fremden Land nicht erschlagen würde, deutet auf eine andere Bevölkerung in der Ferne (Gen. 4, 14. 15). Kain erbaute ein Stadt (Gen .4, 17), auch das spricht ebenfalls für andere Menschen.

Wie versteht Huene die Bibelstellen über den Tod als „der Sünde Sold“ (Rö. 6, 23), wenn es den Tod schon lange vor Adam unter den Tieren und den prä-adamitischen Menschen gab? Huene zitiert diejenigen Bibelstellen, aus denen man Satans Fall herauslesen kann und verortet diesen zwischen den ersten beiden Versen der Bibel, also vor dem ersten Leben. Aufgrund von Satans Fall gibt es laut Huene den Tod in der Welt. Aber vor Adam war der Tod noch nicht „der Sünde Sold“, da es vor Adam noch keine Gebote Gottes gab und daher der Tod noch nicht die Strafe für Sünde sein konnte. Wenn Adam Gott gehorsam geblieben wäre, hätte er nicht sterben müssen, denn es gab im Paradies den Baum des Lebens. Doch weil Adam sündigte, musste er und alle Menschen nach ihm als Folge der Sünde sterben. Erst Christus hat durch seinen Gehorsam bis zum Tode (Phil. 2, 8) den Tod überwunden und für seine Nachfolger den Stachel des Todes, die Sünde, hinweggetan (1. Kor. 15, 56). (S.57)

Den Fall Adams und das Kreuz Christi bettet Huene ein in die Heilsgeschichte Gottes, die sich noch weit in die Zukunft erstrecken wird. Gott hat diese Heilsgeschichte von Anfang an geplant (S.68):

Alles einzelne, das zum ersten Kommen Christi führte, wußte Gott: die Einsetzung des Fürsten dieser Welt, seinen Fall, alles, was die Geschichte der Schöpfung mit sich brachte, besonders auch in der Bildung und späteren Geschichte des Menschen, prähistorisch, Adam und seinen Fall, post-adamitisch, die Aussonderung des Abraham, die Aussonderung des Volkes Israel, das Gesetz und seine Wirkung, die Propheten; aber auch nach Christi Wirksamkeit auf Erden, Leiden und Auferstehung, die Wirkung des Heiligen Geistes an den Menschen und alles, was da in der z.T. so traurigen Kirchengeschichte wurde, ebenso die Weltgeschichte und das Ergehen eines jeden Menschen – das war alles zu jener Zeit schon von Gott gesehen, geordnet und gesetzt.

Nachdem die körperliche Entwicklung des Lebens mit den Menschen ihr Ende genommen hat, beginnt nach Huene nun die Geistesentwicklung (S.75f):

Zu Pfingsten und später hat der Geist Gottes in der Gemeinde Jesu Fuß gefaßt, d.h. er ist da und breitet sich wachstümlich in der materiellen Welt, also in Satans Bereich, aus. Von diesem Punkte aus wird schrittweise die ganze Menschheit, die ganze Kreatur und Schöpfung, das ganze „Reich dieser Welt“ dem Herrn Christus, dem König, und so Gott, dem Vater, in aller Form wieder zugeführt werden. Röm. 8, 17 steht „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben und Miterben Christi“ und 1. Tim. 2, 4: „Gott will, daß alle Menschen gerettet werden“ und Röm. 8, 20–22: „Die Kreatur ist nämlich der Vergänglichkeit unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin, daß auch sie, die Kreatur, befreit werden soll von der Knechtschaft der Sterblichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes; denn wir wissen daß die ganze Schöpfung mitseufzt…“ und Offb. 11, 15: „Das Weltreich unseres Herrn und seines Gesalbten ist zustande gekommen, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Hier sind Ausblicke gegeben, die z.T. in kommende Äonen reichen [...]. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß vom Menschen aus die große Rückführungsaktion der ganzen Schöpfung zu Gott ihren Ausgang nimmt. Im Menschen treffen sich Materie und Geist, Geist Gottes. Der Mensch Jesus Christus, Gottes Sohn, hat den Entscheidungskampf gegen Satan siegreich geführt, und die Konsequenzen desselben müssen sich nun auswirken. Darum steht das Kreuz im Mittelpunkt der Universalgeschichte. Von da aus wird die Zukunft mindestens nicht weniger sein als die Vergangenheit.

In Huenes weitem Blick auf die ganze Geschichte der Schöpfung und ihrer Erlösung erkennt man die geistige Nähe zu seinem Theologie-Kollegen Karl Heim. Beide stellten sich dem Wissen und Denken ihrer Zeit und ordneten es aus Perspektive des christlichen Glaubens ein. Damit boten sie Mitchristen, in denen die wissenschaftlichen Erkenntnisse Zweifel und Fragen weckten, eine Orientierungshilfe und eine Ermutigung zum Glauben. In dieser Hinsicht ist Huene mir ein Vorbild, auch wenn ich seine Bibelauslegung nicht an allen Stellen teile.


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