Wie erschafft Gott?
Anfang dieses Jahres erschien das Buch „Schöpfung und Evolution? Drei Wissenschaftler. Drei Positionen. Eine Debatte.“ Siegfried Scherer, Reinhard Junker und ich stellen in diesem Buch jeweils unsere Position zu „Schöpfung und Evolution“ dar und beziehen in einer zweiten Runde Stellung zu den Texten der beiden anderen. Zum Abschluss geht jeder von uns auf diese Stellungnahmen ein.
Reinhard Junker vertritt die Position der Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“, dass die Erde und das Universum jung sind und dass alle biologischen Grundformen fertig und nahezu gleichzeitig geschaffen wurden. Er untermauert sein Verständnis von Gottes Erschaffen mit biblischen Texten. Er erläutert dies anhand der Heilung eines Leprakranken durch Jesus (Markus 1, 40-42):
Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. Und es jammerte ihn, und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sei rein! Und alsbald wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein.
Dies kommentiert er so (S.104):
„Augenblicklich geschieht etwas, was durch einen natürlichen Prozess gar nicht ablaufen könnte: Durch die Worte von Jesus wird der Leprakranke sofort geheilt. Das ist ein Schöpfungsakt, denn eine solche Heilung bedeutet, dass anstelle des kranken oder abgestorbenen Gewebes gesundes Gewebe geschaffen wird. Ohne Narben und ohne Nebenwirkungen! Der Wille von Jesus und sein schöpferischer Befehl – »Ich will’s: Werde rein!« – bewirken das normalerweise Unmögliche.“
Am wunderhaften Handeln Jesu als Gottes Sohn können wir laut Junker erkennen, wie Gott erschafft. Junker schreibt weiter:
„Im Alten Testament wird Gottes Handeln ebenso beschrieben: »Wenn er spricht, so geschieht’s, wenn er gebietet, so steht’s da« (Psalm 33,9; lut; vgl. Jesaja 48,13) – augenblicklich, durch ein Befehlswort und mithin ganz anders als naturgesetzliche natürliche Prozesse es vermögen.“
In diesem Sinne versteht Junker auch die Schöpfungserzählung im ersten Kapitel der Bibel:
„Das schöpferische Wirken von Jesus gleicht auch der Schöpfung am Anfang: »Und Gott sprach: Es werde … Es wimmle das Wasser … Die Erde bringe hervor« (Genesis 1,3.20.24). Hier wird deutlich, dass Schöpfung zum einen das Einsetzen der geregelten Abläufe der Natur bedeutet, aber auch ein Eingreifen in diese einschließt – wie am Wirken von Jesus anschaulich erkennbar ist. Schöpfung durch das Wort ermöglicht Dinge, die sich auf natürlichem Weg entweder nicht augenblicklich oder gar nicht ereignet hätten. Wir haben in dem Handeln von Jesus deshalb einen Schlüssel zum Verständnis der Erschaffung der ganzen Welt.“
Junker versteht Schöpfung demnach als etwas, das grundlegend verschieden ist von „naturgesetzlichen natürlichen Prozessen“. Schöpfung setzt diese Prozesse in Gang oder greift in sie ein. Schöpfung geschieht augenblicklich und wundersam.
Doch ist dies wirklich das biblische Verständnis von Schöpfung? In meiner Antwort auf Junkers Ausführungen in dem Buch verweise ich auf den Prolog des Johannesevangeliums: „Alle Dinge sind durch das Wort gemacht, und ohne das Wort ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ (Vers 3) Das bedeutet, dass ausnahmslos alles, was existiert, von Gott durch Christus (der von Johannes mit dem „Wort“ gleichgesetzt wird) geschaffen wurde. Ähnlich lessen wir in Kol.1: „In ihm wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare (...); es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.“ (Verse 16+17)
Auch im Alten Testament begegnet uns das Verständnis, dass alles, was existiert, gleichermaßen Schöpfung Gottes ist: „Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist.“ (Psalm 146,6, vgl. Apg. 4,24) Jeder einzelne Mensch ist von Gott geschaffen: „Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.“ (Psalm 139,13). Das Volk Israel ist von Gott geschaffen: „Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel“ (Jes. 43,1). Ein paar Verse später wird jeder einzelne des vom Propheten angesprochenen Israel des 6. Jh. v. Chr. als von Gott geschaffen bezeichnet: „Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.“ (Jes. 43,5+7) Das Verb, das in Vers 1 und 7 mit ‚Schaffen‘ übersetzt ist, lautet im Hebräischen ‚bara‘, was auch im ersten Vers der Bibel verwendet wird.
Die beiden Zitate aus Psalm 139 und Jesaja 43 zeigen auch, dass Gottes Erschaffen keineswegs augenblicklich sein muss. Sowohl das Wachsen des Babys im Mutterleib, als auch die Entstehung des Volkes Israel sind ein längerer Prozess.
Junker betrachtet diese Prozesse allerdings nicht als Erschaffen. Für ihn ist das Erschaffen ein anfängliches augenblickliches Ereignis. In welche Argumentationsschwierigkeiten das führt, erkennt man an seinen Antworten auf meine Ausführungen. Meinen Verweis auf Jes. 43,1 kommentiert er so (S.291):
„Auch bei der »Erschaffung« des Volkes Israel wird der Vergleich falsch angesetzt, wenn das Erschaffen gemäß Jesaja 43,1 in das Wachstum dieses Volkes gelegt wird. Das Volk Israel wurde durch die Herausrufung Abrams (bzw. Abrahams) aus seiner heidnischen Umwelt geschaffen. Das Weitere ist Entfaltung. Die schöpferischen Akte Gottes sind nicht zugleich natürliche Prozesse.“
Doch kann man die Erschaffung des Volkes Israel
wirklich auf die Berufung Abrahams beschränken? Sind
nicht die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und der
Bundesschluss am Sinai die zentralen Ereignisse, die dem Volk seine
Identität gegeben haben? Waren nicht auch die Besiedelung des Landes Kanaan und ein paar hundert Jahre später die Etablierung des Königtums Teil der Erschaffung des Volkes? Bezeichnet Jes. 43,7 nicht sogar die Israeliten des 6. Jh. v. Chr. als von Gott geschaffen?
Zu dem Zitat aus Psalm 139 meint Junker „Es ist (…) methodisch falsch, irgendwelche Stellen, die davon reden, dass der Mensch natürlich gezeugt und geboren und dennoch gleichzeitig von Gott gebildet wurde, in einen Schöpfungstext hineinzutragen.“ (S.291) Hier übergeht er, dass anderswo in der Bibel in Bezug auf spätere Menschen eine ähnliche Formulierung wie bei der Erschaffung Adams verwendet wird. Über die Erschaffung Adams lesen wir: „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde“ (Gen. 2,7). In Hiob 10,9 heißt es: „Bedenke doch, dass du mich aus Lehm gemacht hast.“ Eine ähnliche Parallele gibt es zwischen Gen.1,11, „Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume“, und Psalm 104,13+14: „Du machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen.“ Gottes fortgesetztes Schaffen wird auch in Vers 30 dieses Psalms ausgedrückt: „Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde.“ In diesem Vers wird das Verb ‚bara‘ verwendet.
Im Gegensatz hierzu schreibt Junker zu Joh. 1,3:
„»Alles wurde durch dasselbe (Wort)« (Johannes 1,3; elb) bezieht sich auf die Schöpfung am Anfang, während danach die Lebewesen aus ihresgleichen hervorgehen und nicht mehr durch das Wort neu erschaffen werden.“
Diese Einschränkung von „Alles“ macht er aufgrund seines Vorverständnisses, denn der Text selbst sagt etwas anderes. Die von Junker gelehrte scharfe Trennung von „Schöpfung“ und „natürlichen Prozessen“ finde ich nicht in der Bibel. Die Bibel kennt nicht das Kozept der „Natur“ als einer quasi autonomen Einheit. Das Entstehen und das Fortbestehen von allem beruht auf Gottes fortgesetzter kreativen Tätigkeit. In den Worten des großen mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin ist Gott die Erstursache von allem. Die von uns beobachteten Gesetzmäßigkeiten in der Schöpfung sind Zweitursachen. Gott hat sie eingesetzt und garantiert ihr Fortbestehen. Sie sind in jedem Augenblick von ihm abhängig.
Wegen dieser Gesetzmäßigkeiten können wir Gottes Schöpfungshandeln zumindest in Teilen erforschen und verstehen. In dem oben erwähnten Buch illustriere ich dies anhand der Entstehung von Sternen: „Gemäß Junker wurden die Sonne und die Sterne am Anfang des Universums vor weniger als 10.000 Jahren durch einen wundersamen, augenblicklichen Schöpfungsakt geschaffen. Doch wenn wir in den Himmel schauen, sehen wir Sterne ganz verschiedenen Alters und in verschiedenen Entwicklungsstadien. Wir sehen Gaswolken, in denen sich junge, im Entstehen begriffene Sterne befinden. Wir sehen Rote Riesen, die in der Spätphase ihres Lebens sind, und wir beobachten Supernova-Explosionen, bei denen ein Stern stirbt. Wir können durch Computersimulationen das gesamte Leben eines Sterns von seiner Entstehung bis zu seinem Tod nachstellen und durch Beobachtung überprüfen, ob die verschiedenen Sterne, die wir sehen, zu diesen Simulationen passen. Sie tun es!“ (S.275f)
Ein Beispielartikel zu Computersimulationen der Sternentwicklung ist hier. Eine Liste aller bisherigen Blogeinträge befindet sich hier.