Fliegende Spaghettimonster und interplanetare Teekannen

Haben Sie vom fliegenden Spaghettimonster gehört? Ursprünglich wurde es als Scherz vom Physiker Bobby Henderson erfunden, als die Intelligent-Design-Bewegung forderte, dass ihre Sicht gleichberechtigt neben Evolution im Biologieunterricht behandelt werden soll. Henderson schrieb in einem offenen Brief an die Schulbehörde in Kansas, den er auf seiner Webseite postete, dass dann auch die von ihm vertretene Schöpfungslehre vom fliegenden Spaghettimonster gleichberechtigt gelehrt werden müsse. Diese Schöpfungslehre besage, dass das fliegende Spaghettimonster wie eine Portion Spaghetti mit Fleischbällchen aussieht, aber für uns unsichtbar und nicht nachweisbar ist. Als es die Welt erschuf, war es gerade betrunken. Deshalb ist die Welt unvollkommen und fehlerhaft. Um den Glauben seiner Anhänger zu testen, hat es scheinbare Indizien für Evolution in seine Schöpfung eingebaut. Mehr Information zum fliegenden Spaghettimonster findet man auf der betreffenden englischsprachigen Wikipedia-Seite.

Viele Atheisten, die von der Idee, Religion zu parodieren, angetan sind, haben sich inzwischen zur „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ zusammengeschlossen, die in Deutschland sogar als gemeinnützige Körperschaft anerkannt ist, die „ausschließlich und unmittelbar kirchliche Zwecke fördere“.

Es gäbe hier einiges zu kommentieren und zu diskutieren, doch ich möchte mich auf eine Frage beschränken: Ist der Glaube an Gott als Schöpfer der Welt ebenso willkürlich wie der Glaube an das fliegende Spaghettimonster? Viele, die Wissenschaft als einzigen Weg zur Erkenntnis akzeptieren, bejahen diese Frage: Da Gott unsichtbar ist und sich wissenschaftlich nicht nachweisen lässt, scheint der Glaube an ihn unbegründet und willkürlich. So stellt es zum Beispiel Richard Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“ dar.

Doch der Biologe und Theologe Alister McGrath kontert in seinem Buch „Dawkins‘ God“, dass der Glaube an Gott nicht in derselben Kategorie liegt wie der Glaube an Fantasiewesen. Er kenne viele Menschen, die erst als Erwachsene zum Glauben an Gott kamen, aber niemand, der erst als Erwachsener begann, an die Zahnfee oder den Weihnachtsmann zu glauben. Aus einem solchen Glauben wächst man irgendwann heraus.

Schon vor dem fliegenden Spaghettimonster wurde der Glaube an erfundene Dinge mit dem Glauben an Gott verglichen: Der für seinen Atheismus bekannte Philosoph Bertrand Russell (1872-1970) schrieb im Jahr 1952 Folgendes:

Viele Orthodoxe tun so, als ob es Aufgabe der Skeptiker wäre, die vorgegebenen Dogmen zu widerlegen, anstatt die der Dogmatiker, sie zu beweisen. Das ist natürlich ein Fehler. Wenn ich behaupten würde, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gäbe, die auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so könnte niemand meine Behauptung widerlegen, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun daherginge und sagte, da meine Behauptung nicht zu widerlegen sei, sei es eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, diese anzuzweifeln, dann könnte man zu Recht annehmen, ich würde Unsinn erzählen. Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Normverletzung werden.“

Das Gedankenspiel von der interplanetaren Teekanne ist anders beschaffen als das vom fliegenden Spaghettimonster, weil der Teekanne keine schöpferischen Fähigkeiten zugeschrieben werden. Sie wird als ein gewöhnlicher materieller Teil dieser Welt dargestellt und damit im Prinzip als mit wissenschaftlichen Methoden nachweisbar.

Lasst uns zuerst diese Teekanne diskutieren, bevor wir zum fliegenden Spaghettimonster zurückkehren. Auch wenn man sie gemäß Russells Prämisse nicht nachweisen kann, kann man entgegen der Behauptung Russells mehr über sie sagen, als nur ihre Existenz zu behaupten oder zu leugnen. Normalerweise wird mit dem Glauben an etwas auch eine Geschichte darüber verbunden, woher es kommt oder was es bewirkt. Da Russell von den „antiken Büchern“ spricht, die die Existenz dieser Teekanne lehren, gesteht er zu, dass es eine Geschichte zu der Teekanne gibt, über deren Entstehung und Glaubwürdigkeit man diskutieren kann. Gemäß einer solchen Geschichte könnte z. B. eine außerirdische Zivilisation, die zur Zeit der Dinosaurier unser Sonnensystem besuchte, auf einer Raumfahrt diese Teekanne im Asteroidengürtel bei einer Kollision mit einem kleinen Asteroiden verloren haben, und ein Erdbewohner mit übersinnlicher Wahrnehmungsfähigkeit könnte eine Vision dieses vergangenen Ereignisses gehabt haben. Damit diese Teekanne überhaupt in die antiken Bücher kommt und für wichtig genug gehalten wird, in der Schule gelehrt zu werden, muss sie außerdem eine Bedeutung für uns Menschen haben. Befindet sich in dieser Teekanne vielleicht ein besonderer Sirup, der Menschen unsterblich macht oder zumindest alle Krankheiten heilt? Oder enthält sie Informationen über alle Meteoriten, die sich auf Kollisionskurs zur Erde befinden? Wir sehen also, dass schon für die interplanetare Teekanne nicht das gilt, was Russell mit Blick auf Gott behauptet: Die Existenz von Dingen wird nicht einfach so aus dem Blauen heraus postuliert, sondern es gibt einen Kontext dazu. Über die Plausibilität dieses Kontextes kann man sinnvoll diskutieren. Und natürlich ist die Geschichte von der Teekanne nicht plausibel, und deshalb glaubt keiner an sie. Ebenso ist es mit der Zahnfee und dem Weihnachtsmann: Wer diesen Geschichten nachgeht, findet heraus, dass sie menschliche Erfindungen sind. Die angeblichen Tätigkeiten der Zahnfee und des Weihnachtsmanns werden von Menschen durchgeführt.

Dass Russell die Frage nach der Existenz Gottes mit der Frage nach der Existenz der interplanetaren Teekanne vergleicht, zeigt, dass er eine materialistische Weltsicht hat: Für ihn sind anscheinend Materie und die Naturgesetze die grundlegende Realität, die alles andere hervorgebracht hat. Also wäre auch Gott, wenn es ihn gäbe, ein Teil des Universums und müsste mit Mitteln der Wissenschaft erklärbar und nachweisbar sein. Doch damit verkennt Russell völlig das Wesen des Glaubens an Gott: Gott ist nicht ein Produkt der Natur, sondern ihr Urheber. Viele große Denker der Vergangenheit und Gegenwart waren der Auffassung, dass der Glaube an Gott eine angemessene Antwort bietet auf grundlegende Fragen, die die Menschheit beschäftigen: Ist das Universum gewollt? Warum gibt es Naturgesetze? Warum kann unser kleines Gehirn sie verstehen? Weil der Glaube an Gott eine kohärente Sicht auf die Welt und das Leben bietet und zu unserer Sehnsucht nach Sinn und Ewigkeit passt, ist er so weit verbreitet. Dass die christliche Lehre in die „antiken Bücher“ kam, liegt daran, dass Menschen etwas erlebt haben, das sie als Erfahrung mit Gott verstehen. Russell tut so, als seien die christlichen Dogmen einfach eine Erfindung. Wenn er sich mit der Geschichte der frühen Kirche und der Entstehung der christlichen Lehre befasst hätte, hätte er gesehen, dass seine Behauptungen aus der Luft gegriffen sind.

Kommen wir zurück zum fliegenden Spaghettimonster: Seine Geschichte wurde ja erfunden, um den christlichen Glauben zu parodieren. Das fliegende Spaghettimonster ist eine absurde Mischung aus materiellen und übernatürlichen Merkmalen. Da es eine materielle Beschaffenheit hat, gilt für es dasselbe wie für die Teekanne: Es wird als Produkt von Materie und Naturgesetzen betrachtet und nicht als ihr Urheber. Dass trotzdem behauptet wird, es habe die Welt geschaffen, widerspricht dem. Es kann höchstens eine Teilwelt geschaffen haben. Nudeln gab es schon vor diesem Schöpfungsprozess. So gerne ich Nudeln mag – beim Glauben an Gott geht es um etwas so gänzlich anderes, dass es gar nicht einfach ist, ihn ernsthaft zu parodieren….

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