Alister McGrath: Ein Leben für Naturwissenschaft und Glauben

Alister McGrath ist einer der prominentesten Fachleute, die sich zum Thema Glaube und Naturwissenschaft äußern. Er hat in Oxford einen Lehrstuhl für „Science and Religion“ inne und ist insbesondere durch seine Auseinandersetzung mit dem neuen Atheismus bekannt geworden. Er hat mit Richard Dawkins, Peter Atkins und anderen Neuen Atheisten debattiert und einige Bücher in Antwort auf ihre Positionen geschrieben. Im Juli hatte ich auf dem diesjährigen Sommerkurs zu „Naturwissenschaft und Religion“ des Faraday-Instituts in Cambridge (England) die Gelegenheit, einen Vortrag von ihm darüber zu hören, wie er dazu kam, sich hauptberuflich für das Thema „Glaube und Naturwissenschaft“ einzusetzen.

McGrath entdeckte schon sehr früh seine Faszination für die Naturwissenschaften. Im Alter von 16 Jahren war er ein überzeugter Atheist, der meinte, die Naturwissenschaften würden sicheres Wissen vermitteln, während die Religionen eher eine Flucht vor der Realität darstellen. Naturwissenschaft und Religion lagen seiner Meinung nach im Konflikt miteinander. Der Kampf zwischen Katholiken und Protestanten in seiner nordirischen Heimat bestätigte ihn in dem Eindruck, dass Religion schädlich sei und zu Gewalt führe.

Während er zehn Monate lang darauf wartete, seinen Chemie-Studienplatz in Oxford anzutreten, las er die Bücher der naturwissenschaftlichen Abteilung der Schulbücherei. Schließlich kam er dabei zu der verstaubten Sektion mit der Bezeichnung „Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften.“ Was er dort las, erschütterte seine bisherige naive Sicht auf die Naturwissenschaften: Er las von der Unterbestimmtheit der Theorien durch Daten, von radikalen Paradigmenwechseln in der Geschichte der Naturwissenschaft und der Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ihm wurde deutlich, dass sein Atheismus nicht auf einem so sicheren Fundament stand, wie er dachte. McGrath ist heute der Auffassung, dass Atheismus in vielen Fällen weniger das Ergebnis reiflichen Nachdenkens ist als vielmehr das Produkt unseres Wunsches, dass niemand in unser Leben hineinredet.

Das Chemiestudium begeisterte ihn sehr, doch es zeigte ihm auch, dass die Naturwissenschaft nicht die Sinnfrage beantworten kann. Je mehr man darüber versteht, wie die Welt funktioniert, desto sinnloser erscheint sie. McGrath erkannte, dass er die Fähigkeit des Atheismus überschätzt hatte, aus der Wirklichkeit einen Sinn abzuleiten. Unter seinen Mitstudenten und Dozenten waren eine Reihe von Christen, die ihm vorlebten, dass Naturwissenschaft und Glaube nicht inkompatibel sind, sondern nur verschieden. Er merkte, dass das Christentum intellektuell weitaus tragfähiger ist, als er angenommen hatte. Der christliche Glaube bietet einen weiteren Blick auf die Wirklichkeit als der Atheismus. Wie eine optische Linse hilft der Glaube, die Dinge scharf zu sehen. Schließlich konvertierte McGrath zum christlichen Glauben. Er bezeichnet dies ausdrücklich als eine „intellektuelle Bekehrung“. Einen großen Einfluss auf sein Denken hatte hierbei C.S. Lewis. Auch heute noch zitiert er gerne die Aussage von Lewis „Ich glaube an das Christentum so, wie ich daran glaube, dass die Sonne aufgegangen ist. Nicht nur, weil ich sie sehe, sondern weil ich durch sie alles andere sehen kann.“

Ein Schlüsselerlebnis für ihn war eine Predigt des Chemieprofessors Charles Coulson, der gleichzeitig methodistischer Laienprediger war. Diese Predigt half ihm, das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft in einem neuen Licht zu sehen: Beide geben verschiedene Einblicke in unsere Welt, so wie ein binokulares Fernglas, das einen dreidimensionalen Blick ermöglicht.

In McGrath wuchs der Wunsch, das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft besser zu durchdenken. Daher wollte er zunächst gründliche Theologiekenntnisse erwerben. Während seiner Doktorarbeit in Biochemie begann er ein Theologiestudium. Während der 12 folgenden Jahre widmete er sich hauptberuflich der Theologie und erhielt schließlich eine Theologie-Professur. Erst dann wandte er sich wieder seinem ursprünglichen Ziel zu, intensiver über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben nachzudenken.

Der Anlass, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu treten, war eine Debatte im Jahr 2003 mit den beiden Atheisten Richard Dawkins (Evolutionswissenschaftler) und Peter Atkins (Chemiker). Ihm wurde deutlich, dass es dringend nötig war, der einfachen schwarz-weiß-Sicht der Neuen Atheisten etwas entgegenzusetzen, da sie mit ihrem atheistischen Fundamentalismus viel Zulauf fanden. McGrath schrieb Bücher, beteiligte sich an öffentlichen Debatten und hielt Kurse über Naturwissenschaft und Religion. Darin zeigte er immer wieder auf, dass die Neuen Atheisten es versäumten, ihre eigenen Grundüberzeugungen ebenso kritisch zu hinterfragen, wie die der Christen. Nur wenige Monate nach Dawkins Bestseller „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“) erschien McGraths Antwort „The Dawkins Delusion“ („Der Atheismuswahn“).

Im Jahr 2014 wurde McGrath auf die prestigeträchtige Andreas-Idreos-Professur für Wissenschaft und Religion in Oxford berufen. Diese Stelle bietet ihm die Möglichkeit, seine Gedanken weiter zu entwickeln. Er hört nicht auf, sich für dieses Thema öffentlich zu engagieren und auch Geistliche darin auszubilden. Zu seiner Erleichterung ist die Hoch-Zeit der Neuen Atheisten nun vorbei. Zehn Jahre lang hatten die Medien die Gedanken der Neuen Atheisten unkritisch aufgenommen. Doch nun sind die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis durch die langjährigen Debatten und Auseinandersetzungen wieder deutlicher geworden.

McGrath bezeichnet das Verhältnis von Christentum und Naturwissenschaft als gegenseitige Bereicherung. Naturwissenschaft kann ausgezeichnet erklären, wie die Dinge funktionieren. Das Christentum hilft zu verstehen, was sie bedeuten. Es hilft Naturwissenschaftlerinnen, sich mit Sinnfragen und ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Umgekehrt kann die Naturwissenschaft unseren Glauben bereichern. Einer seiner Lieblingsverse der Bibel ist Psalm 19,2: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.“ Die Naturwissenschaft hilft uns, die Größe der Schöpfung zu erkennen.

Eine andere laut McGrath hilfreiche Beschreibung des Verhältnisses von christlichem Glauben und Naturwissenschaft ist die der „Resonanz“: Der christliche Glaube passt zu dem, was wir sehen, wenn wir in die Natur schauen. Dies ist eine moderne Art natürlicher Theologie, die nicht mehr wie früher versucht, Gott aus der Natur zu beweisen, sondern nur noch auf die Stimmigkeit des Glaubens an Gott mit den Erkenntnissen aus der Natur hinzuweisen. Das sieht John Polkinghorne genau so.

Dadurch, dass er selbst früher Atheist war, schätzt McGrath die intellektuelle Weite des Christentums nach eigener Aussage deutlich mehr, als er es tun würde, wenn er im christlichen Glauben aufgewachsen wäre. McGrath meint, dass viele Jugendliche heute ähnlich wie er, als er 16 Jahre alt war, der Überzeugung sind, dass die Naturwissenschaft zum Atheismus führt. Doch er ist zuversichtlich, dass diese Personen später erkennen werden, dass dies keine tragfähige Position ist, weil die Dinge komplizierter sind, als sie meinen.

Im Schlussteil seines Vortrags warb McGrath dafür, dass sich noch viel mehr Personen auf dem Gebiet Glaube und Naturwissenschaft engagieren. Auch nicht theologisch ausgebildete gläubige Naturwissenschaftlerinnen können gute Wege finden, ihren Glauben und ihre Wissenschaft miteinander in Beziehung zu setzen. Damit können sie dazu beitragen, dass die Vereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen wird. Denn „Nichts wirkt überzeugender als Überzeugtsein“. (Ein Zitat von Cicero, aus dem 1. Jh. v. Chr.)

Hinweise: Am nächsten Tag gab A. McGrath einen ebenfalls hörenswerten einführenden Vortrag zum Thema Glaube und Naturwissenschaft. In dem gut geschriebenen und kompakten Buch „Richard Dawkins, C.S. Lewis und die großen Fragen des Lebens“ (Gerth Medien 2020) stellt Alister McGrath die Auffassung von Richard Dawkins der jenigen von C.S. Lewis gegenüber. Die Lebensgeschichte von Alister McGrath befindet sich auch in dem von mir herausgegebenen Buch „Naturwissenschaftler reden von Gott.“ 

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