Warum ich mich impfen lassen werde

Hoffentlich wird es bald soviel Impfdosen geben, dass jedem eine Corona-Impfung angeboten werden kann. Mit Sorge beobachte ich, dass es viel Skepsis gegenüber den Impfungen gibt, auch unter Christen. Es gibt zwei Gründe, warum ich mich impfen lassen werde und bereit bin, jeden Impfstoff zu nehmen, der mir angeboten wird.

Der erste Grund ist moralischer Natur: Um die Ausbreitung des Corona-Virus wirkungsvoll einzudämmen, müssen möglichst viele Personen möglichst zügig geimpft werden. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten und mich impfen lassen, sobald dies möglich ist. Jesus hat in der Bergpredigt gesagt (Mt. 7,12): „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch“. Der Philosoph Immanuel Kant hat es etwas formaler ausgedrückt in seinem 'kategorischen Imperativ': „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Einfacher formuliert: „Tu das, von dem du möchtest, dass alle anderen es tun.“ Und ich möchte, dass möglichst viele sich impfen lassen...

Manchmal hört man den Vorschlag, dass es genügt, wenn die Risikopatienten sich impfen lassen. Doch das reicht meines Erachtens nicht, denn solange immer noch viele Personen die Viren verbreiten, können neue Mutanten entstehen und damit neue Gefahren für unsere Gesundheit. Außerdem kann COVID-19 auch bei Personen, die nicht als Risikopatienten eingestuft werden, einen schweren Verlauf nehmen.

Dies bringt mich zum zweiten Grund, mich impfen zu lassen: Das Abwägen von Risiken. Zugegeben, es besteht ein gewisses, wenn auch geringes Risiko, dass die Impfung sich negativ auswirkt. Doch dieses Risiko ist abzuwägen gegen das Risiko, dass eine Infektion mit dem Corona-Virus mich schädigt oder diejenigen, die ich anstecke. Und es ist zu vergleichen mit all den anderen Risiken im Leben, die ich ohne viel Nachdenken im Alltag in Kauf nehme: Im Straßenverkehr, beim Sport, im Haushalt, …. Im Jahr 2019 starben 445 Fahrradfahrer im Straßenverkehr. Bei 80 Millionen Deutschen ist das ein Risiko von etwas über 1:200000, also 5 von einer Million. Das Risiko, sich während eines Jahres bei einem Fahrradunfall schwer zu verletzten, ist sogar 30-40mal höher. (Hierfür habe ich keine deutschlandweiten Zahlen gefunden, aber welche für Baden-Württemberg.) Diese Zahlen halten mich nicht davon ab, täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Das Risiko, nach einer Astrazeneca-Impfung eine Sinusvenenthrombose zu bekommen, ist gemäß der kürzlich veröffentlichten Oxford-Studie 1:200000 (also so hoch wie das eines tödlichen Fahrradunfalls innerhalb eines Jahres), und gemäß der aktuellen Zahlen vom 21.4. aus Deutschland (63 von 4,7 Millionen) gut doppelt so hoch. Allerdings verläuft diese Thrombose nur ca. in jedem fünften Fall tödlich (12 der 63 Fälle). Das Risiko, bei einer COVID-19-Erkrankung eine Sinusvenenthrombose zu bekommen, ist um ein Vielfaches höher als bei einer Impfung. Insgesamt ist das Risiko einer Impfung also gering, und ihr Nutzen überwiegt bei weitem den Schaden.

Die Forschung darüber, wie sich das Corona-Virus ausbreitet und welche Auswirkung die verschiedenen Corona-Schutzmaßnahmen haben, steht meinem Forschungsgebiet, der statistischen Physik, recht nahe. In dem Seminar zur Statistischen Physik von Netzwerken, das ich dieses Semester lehre, steht die Ausbreitung von Krankheiten auf Kontaktnetzwerken auf der Themenliste. Einige der öfter in den Medien zitierten Forscher wie Viola Priesemann, Dirk Brockmann und Kai Nagel kenne ich von Tagungen früherer Jahre oder von anderen wissenschaftlichen Anlässen persönlich. Neulich hörte ich einen Vortrag von Viola Priesemann über „Die Physik der COVID-19-Eindämmung“, bei dem sie über ihre Forschung zur Ausbreitung des Corona-Virus berichtete. Ich war beeindruckt davon, mit welcher Intensität und Tiefe ihre Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen an diesem Thema forscht und wie umfangreich sie vernetzt ist, nicht nur mit vielen anderen Forschern im In- und Ausland, sondern auch mit den relevanten Instituten, Kliniken und Ämtern. Hier wird wirklich alles verfügbare Wissen zusammengetragen, um das bestmögliche Verständnis über die Ausbreitung des Virus und seine Kontrolle zu erwerben.

Ähnlich beeindruckt war ich einige Wochen zuvor vom Vortrag von Eberhard Bodenschatz (ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation) über „Humane Tröpfchen und Aerosole“. Ähnlich wie Frau Priesemann hat er seit dem Ausbruch von Corona einen Großteil der Forschungskapazitäten seiner Arbeitsgruppe in dieses Projekt investiert und untersucht, wie Aerosole beim Sprechen, Singen etc. abgegeben werden, wie sie sich in Innenräumen anreichern, wie dies das Ansteckungsrisiko beeinflusst und in welchem Ausmaß verschiedene Arten von Masken den Träger und andere schützen. Genau wie Frau Priesemann ist auch er sehr gut vernetzt mit vielen, die zu diesem Thema Erfahrungen beitragen können.

Wer einen Live-Einblick bekommen möchte, wie die Forschung zur Ausbreitung von COVID-19 oder die Forschung zu Aerosolen und Gesichtsmasken gemacht wird, dem kann ich die beiden oben erwähnten Vorträge wärmstens empfehlen – auch wenn man an manchen Stellen durchhalten muss, wenn recht viele fachliche Details kommen. Am Ende beider Vorträge gab es noch eine längere Fragenrunde, die anzuhören sich ebenfalls lohnt.

Nachdem ich dies geschrieben habe, werden meine Leser schon vermuten, dass ich dafür bin, in Innenräumen dort, wo sich Menschen jenseits des eigenen Haushalts begegnen, Masken zu tragen und viel zu lüften – und soweit wie möglich Treffen ins Freie zu verlegen. Darüber hinaus bin ich auch dafür, dass man die Möglichkeit wahrnimmt, einmal wöchentlich einen kostenlosen Schnelltest zu machen, da dies die Chance erhöht, unerkannte Infektionen zu entdecken und die Ausbreitung des Virus so besser einzudämmen.

Natürlich bin auch ich nicht immer glücklich mit den Maßnahmen und Vorschriften, die unsere Verantwortlichen im Zusammenhang mit Corona erlassen. Aber ich halte ihnen zugute, dass sie im Rahmen ihrer Erkenntnisse und Möglichkeiten die Bevölkerung schützen und die Krankenhäuser entlasten möchten. Die Aufforderung des Apostels Paulus, sich der Obrigkeit unterzuordnen (Röm. 13,1), möchte ich ernst nehmen, solange das nicht gegen mein Gewissen geht. Und ich bete täglich für die Regierung (1. Tim. 2,2), denn sie haben keinen einfachen Job in diesen herausfordernden Zeiten!

Hinweis: Kürzlich gab der bekannte christliche Mikrobiologe Siegfried Scherer im pro-Magazin ein Interview, in dem er erklärt, dass die Risiken einer Impfung gering sind und dass er sich impfen lassen möchte.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie alt wurden Noah, Jakob und Mose?

Eine Art Dreikampf

Am dritten Tage auferstanden von den Toten

Long Covid

Harald Lesch und die Frage nach Gott