Der Klimawandel geht weiter
Durch die Corona-Pandemie wurde das Thema „Klimawandel“ in den Hintergrund gedrückt, doch seine Dringlichkeit hat sich dadurch nicht verändert. Es ist mir insbesondere ein Anliegen, dass Christen zu diesem Thema korrekt informiert sind, denn der christliche Glaube sollte zum Bewahren der Schöpfung und dem Schutz der Armen führen. Dies hat auch Papst Franziskus im Jahr 2015 in seiner Enzyklika LAUDATO SI' betont. Durch meinen Beruf bin ich mit der Fachwissenschaft hinter dem Klimawandel ein stückweit vertraut: Ich kenne mehrere Klimaforscher persönlich, habe auf diversen Tagungen Vorträge aus erster Hand gehört und weiß ganz gut, wie Klimamodelle funktionieren.
Zu den besonders bekannten Klimaforschern gehört Katharine Hayhoe aus Texas. Sie hat eine Stelle als Professorin und Direktorin des „Climate Science Center“ an der Texas Tech University. Sie hat bei mehreren wichtigen Klimareports federführend mitgewirkt, darunter auch denen des UN-Klimarats, der 2007 den Friedensnobelpreis erhielt. Gleichzeitig ist sie evangelikale Christin, die es sich zum Anliegen gemacht hat, den Klimawandel insbesondere ihren Mitchristen zu erklären. Im Jahr 2014 wurde sie vom Time-Magazin als eine der 100 einflussreichsten Personen des Jahres gelistet, und sie erhielt mehrere Preise für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Im Jahr 2009 veröffentlichte sie zusammen mit ihrem Mann Andrew Farley, einem Pastor, das Buch „A climate for change. Global warming facts for faith-based decisions.“ In diesem Buch erklären sie und ihr Mann den Lesern den Klimawandel, seine Ursachen und Auswirkungen auf eine gut verständliche Weise, gehen auf verbreitete Gegenargumente ein und erklären, was Regierungen, aber auch jeder einzelne Mensch, tun können, um die Erderwärmung zu reduzieren. Da die Zielgruppe christliche Leser sind, werden auch Bibeltexte einbezogen, um unsere Verantwortung für die Schöpfung und insbesondere die ärmsten unserer Mitmenschen, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden, zu betonen. Durch alles hindurch strahlt die Hoffnung, dass wir Menschen die Veränderung schaffen können, so wie wir früher die Schädigung der Ozonschicht durch FCKW und die Zerstörung der Wälder durch sauren Regen stoppen konnten. Wer möchte, kann sich anhand ihrer diversen Beiträge im Internet einen Eindruck von Katharine Hayhoes gewinnendem Vortragsstil und ihrer klaren Argumentation verschaffen.
Im Folgenden möchte ich einen kleinen Einblick in die Argumente des Buchs geben. Zur Vertiefung und Veranschaulichung habe ich außerdem zusätzliche Hinweise und Links zu aktuellen Informationen hinzugefügt.
Zu Beginn wird das Schicksal der indigenen Inupiaq vorgestellt, die in dem Küstendorf Kivalina in Alaska 100 Kilometer nördlich des Polarkreises leben. Seit vielen Jahrhunderten ernähren sie sich hauptsächlich von dem Fleisch, das sie erjagen und in unterirdischen Gruben im eisigen Permafrostboden lagern. Durch den Klimawandel der letzten Jahrzehnte wird ihnen immer mehr die Lebensgrundlage entzogen: Der Permafrostboden, auf dem sie leben, taut auf, so dass das gespeicherte Fleisch verdirbt. Die Zugzeiten und Wege ihrer Nahrungstiere (Karibus, Wale, Robben, Lachse, Eisbären) haben sich verändert, so dass sie in erreichbarer Nähe immer weniger Nahrung finden können. Die Zahl der Monate, in denen die Küste des Dorfes nicht durch Packeis vor Schäden durch Stürme geschützt ist, ist von 3 auf 5 pro Jahr angestiegen. Außerdem hat die Zahl schwerer Stürme zugenommen, so dass die Küste in rasantem Tempo abgetragen wird. Einige Häuser mussten schon aufgegeben werden. Bald werden die Einwohner das Dorf ganz verlassen müssen.
Nicht nur in der Arktik, sondern auf der ganzen Erde wird es wärmer: Messdaten seit Beginn der Wetteraufzeichnung vor 150 Jahren zeigen den deutlichen Anstieg der Jahresdurchschnittstemperaturen der Erde in den letzten 50 Jahren. Eine aktuelle Graphik ist z.B. auf der Webseite der NASA zu sehen. Informationen über den Temperaturverlauf der letzten paar tausend Jahre erhält man aus Baumringen, Wachstumsschichten von Korallen und Eiskernbohrungen auf Grönland und Antarktika. Den Temperaturverlauf der letzten 2000 Jahre sieht man in diesem Wikipedia-Eintrag (unten die zweite Graphik). Man erkennt einerseits die vielen Schwankungen, aber auch den extrem steilen Anstieg der Temperatur in den letzten Jahrzehnten hin zu Werten, die es seit Jahrtausenden nicht mehr gab. Als direkte Folge der Erderwärmung schmelzen die Gletscher in den Alpen, taut der seit Jahrtausenden gefrorene Permafrostboden in Sibirien und schrumpft das Eis der Arktik. Den Rückgang der Fläche der im Sommer (hier: August) vorhandenen Eisfläche in der Arktik über die letzten 42 Jahre sehen Sie in Figure 3 fast ganz unten auf dieser Webseite.
Mit den veränderten Temperaturen wandern die Vorkommensgebiete vieler Pflanzen und Tiere nach Norden. Außerdem verschieben sich die Blütezeiten von Pflanzen und die Zugzeiten von Vögeln. All dies können wir auch bei uns in Deutschland beobachten. Immer mehr Vögel ziehen gar nicht mehr im Winter nach Süden. Jedesmal, wenn ich im Winter eine Amsel oder einen Fink oder einen Star sehe, muss ich an das Lied „Alle Vögel sind schon da“ denken, das diese Vögel noch als Zugvögel beschreibt. Und wenn im April die Bäume grün werden, denke ich an das Lied „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün.“...
Hinter dem steilen Anstieg der Erdtemperatur in den letzten Jahrzehnten steckt die Zunahme an Treibhausgasen in der Atmosphäre. Der schwedische Physiker und Chemiker Svante Arrhenius berechnete schon vor über 100 Jahren, wie ein erhöhter Kohlendioxidausstoß die Erde erwärmen wird. Sein Ergebnis war, dass bei einem Anstieg des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre auf das 2,5- bis 3-fache die arktischen Temperaturen um 7-8 Grad anwachsen würden. Moderne Klimamodelle bestätigen seine Schätzung. Allerdings dachte Arrhenius, dass es wohl noch 3000 Jahre dauern wird, bis es soweit ist. Doch leider könnten wir noch in diesem Jahrhundert dorthin kommen. Den engen Zusammenhang zwischen Temperaturverlauf und Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sieht man hier. Wegen der geringen zeitlichen Auflösung zeigt das letzte Bild nicht den Anstieg der letzten Jahrzehnte. Aber in dieser Graphik ist der letzte Anstieg hinzugefügt, und man sieht, dass die Kohlendioxidkonzentration in den vergangenen 800000 Jahren nie so hoch war wie heute.
Die Erderwärmung der vergangenen Jahrzehnte ist menschengemacht. Das können wir mit Klimamodellen prüfen. Es gibt mehrere Klimamodelle, die von verschiedenen Forschergruppen programmiert wurden. Diese Modelle berücksichtigen alle Faktoren, von denen wir wissen, dass sie das Klima beeinflussen, darunter die Schwankungen der Sonneneinstrahlung, Vulkanausbrüche, die Änderungen der Erdbahn und der Neigung der Erdachse und auch die menschliche Produktion von Treibhausgasen. Die Modelle beruhen auf fundamentalen physikalischen Prinzipien, die sich u.a. durch Energie und Impuls, Wärme und Luftdruck ausdrücken lassen. Mit Hilfe dieser Klimamodelle kann man vergleichen, wie sich die Erdtemperatur mit und ohne den menschenverursachten Ausstoß von Treibhausgasen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hätte, und wie sich in Zukunft verschieden starke Reduktionen des Ausstoßes von Treibhausgasen auswirken. Das einhellige Ergebnis der Klimamodelle ist, dass der Anstieg der letzten Jahrzehnte von uns Menschen verursacht ist. In weiten Teilen der Erde würden die Temperaturen sogar zurückgehen, wenn allein natürliche Ursachen wirken würden. Ob Klimamodelle korrekte Vorhersagen machen können, kann man übrigens überprüfen, indem man alte Klimamodelle vergleicht mit dem, was inzwischen geschehen ist. Dieser Artikel aus der Zeitschrift Science berichtet, dass sogar Modelle von vor 50 Jahren erstaunlich gute Vorhersagen machten.
Leider wird in Medien oder im Internet
immer wieder einmal der Eindruck erweckt, als gebe es in der Fachwelt
Kontroversen über die oben beschriebenen Erkenntnisse. Doch das
stimmt nicht. Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change),
an dem mehr als 2000 Experten mitwirken und das alle fünf Jahre den
neuesten wissenschaftlichen Stand zum Klimawandel sichtet und
zusammenfasst, folgert ganz klar, dass der Klimawandel
menschengemacht ist. Katharine Hayhoe nennt viele weitere nationale
und internationale Wissenschaftsorganisationen, die Klimaforscher in
ihren Reihen haben und sich dieser Schlussfolgerung anschließen.
Eine Sichtung aller in Fachzeitschriften zwischen 1993 und 2003
erschienenen Artikel, die das Wort „Klimawandel“ enthalten,
ergab, dass weniger als 0.1 Prozent dieser Artikel abstreiten, dass
der Klimawandel menschengemacht ist. Eine von Wissenschaftlern der
Universität Chicago im Jahr 2009 durchgeführte Umfrage unter
Klimaforschern ergab, dass 97 Prozent von ihnen überzeugt sind, dass
der Klimawandel menschengemacht ist. Katharine Hayhoe schreibt, dass
viele derjenigen, die den menschengemachten Klimawandel abstreiten,
keine Klimaforscher, sondern Meteorologen sind. Sie befassen sich
also mit dem Wetter und nicht mit dem Klima. Wetter ist eine
regionale Erscheinung und ändert sich kurzfristig. Klima bezieht
sich auf die langfristigen globalen Phänomene über viele Jahrzehnte
hinweg. Ein außergewöhnlich kalter Winter ist kein Widerspruch zur
Erderwärmung. In der Graphik auf dieser Seite sieht man sehr schön diesen Unterschied: Von Jahr zu Jahr gibt
es starke Temperaturschwankungen. Aber der langfristige Trend ist
eindeutig. Auch Wärmestreifendiagramme zeigen sehr schön die Kombination aus starken Schwankungen und langfristigen Trends.
Die Folgen des Klimawandels sind inzwischen vielfältig spürbar. Es ist auffällig, dass überall auf der Erde die Wetterextreme zunehmen: Es gibt mehr Tage mit extremer Hitze, länger anhaltende Hitzewellen und damit einhergehende Dürreperioden und als Konsequenz verheerende Feuer – aktuelle Beispiele sind die großen Feuer in Sibirien und Australien in 2020. Außerdem gibt es häufigeren Starkregen und stärkere Stürme und Hurrikane. In vielen Regionen der Erde ändert sich die Niederschlagsmenge. In manchen Regionen wird es nässer. Dagegen haben in den Subtropen, in denen viele Menschen in Afrika und Asien leben, die Dürreperioden an Häufigkeit und Dauer deutlich zugenommen. Neben den zunehmenden Dürren sorgen auch die verschwindenden Gletscher für Wassermangel. Denn Gletscher sind vielerorts eine wichtige Wasserquelle, so z.B. für die südamerikanischen Hauptstädte La Paz (Bolivien) und Lima (Peru), und für die großen Ackerbaugebiete im Einzugsbereich der Himalaja-Gletscher. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht alle tiefliegenden Küstenregionen, darunter viele Großstädte und Teile des Landes Bangladesh. Gerade arme Menschen und solche Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, sind durch die genannten Auswirkungen besonders bedroht.
Unter anderem wegen der besonders deutlichen Auswirkungen des Klimawandels auf viele arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen der Erde betonen die Autoren, dass Christen sich für den Klimaschutz einsetzen sollten. Gegen Ende des Buchs werden die Leser daher ermutigt, auch im Alltag ihren kleinen Beitrag zu leisten. Jeder kann etwas tun, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, sei es durch Energie sparende Maßnahmen zuhause, weniger Spritverbrauch, den Kauf lokaler Produkte, etc. Aber die Maßnahmen mit großer Wirkung können natürlich nur von der Politik ergriffen werden. Die Autoren des Buchs betonen, dass Klimaschutzmaßnahmen die Wirtschaft nicht kaputt machen, sondern sie z.B. dadurch fördern, dass einheimische, erneuerbare Energien erschlossen werden und die Abhängigkeit von Öl-, Gas- und Kohleimporten reduziert wird.
In diesem positiven Tenor endet das Buch, dem ich noch viele Leser und deren Autoren ich noch viele Zuhörer bei ihren Vorträgen wünsche!
Literaturhinweis: Deutschsprachige
Quellen zum Klimawandel sind z.B. der Deutsche Wetterdienst, die Seite klimafakten.de
und das Alfred-Wegener-Institut. Zu dem Problem, dass sich zu manchen Themen auch solche Leute lautstark äußern, die wenig Durchblick haben, habe ich im Januar einen Beitrag geschrieben („Erkenne die Grenzen deines Wissens“).